Die IHK München und Oberbayern sprach mit AHK-Geschäftsführer Jörn Bousselmi über die Frage, was sich in Frankreich tätige bayerische Unternehmen von dem neuen Präsidenten erwarten können.
Gibt es einen Macron-Effekt, der die Wirtschaft pushen könnte?
Das muss man erst noch sehen. Der neue französische Präsident will zumindest die Rahmenbedingungen für die Unternehmen verbessern. Er will die Lohnnebenkosten senken und die Körperschaftssteuer von 33 auf 25 Prozent runterfahren. Macron will auch das verkrustete Tarif- und Arbeitsrecht aufbrechen. Unternehmen sollen über Betriebsvereinbarungen mit ihrer Belegschaft die Regeln flexibler gestalten können.
Das hat schon jetzt heftige Widerstände provoziert. Hat Macron genügend Reformwillen?
Ich denke schon. Macron hat ja bei allen angekündigten Reformmaßnahmen maßgeblich mitgewirkt. 2008 war er Berichterstatter der sogenannten Attali-Kommission, die im Auftrag des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy über 300 Reformvorschläge erarbeitet hat. Auch als Wirtschaftsminister hat er in der Zeit von 2014 bis 2016 zumindest für erste Liberalisierungsschritte im französischen Wirtschafts- und Arbeitsrecht gesorgt.
Genau deswegen bekämpfen ihn Linke und Rechte. Im Alleingang wird er Reformen kaum durchsetzen können …
Das ist richtig. Auch die Parlamentswahlen im Juni 2017 werden zeigen, wie regierungs- und reformfähig Frankreich ist. Macron wird nur Erfolg haben, wenn er große Dinge schafft: wirtschaftsliberale Reformen durchsetzen, die Gewerkschaften von seinem Kurs überzeugen, soziale Spannungen abbauen und vor allem die Arbeitslosigkeit verringern.
Wie lange wird die Wirtschaft mit dieser politischen Unsicherheit noch leben müssen?
Zumindest ist schon mal klar, dass es mit dem Projekt Europa weitergeht. Das ist eine große Erleichterung. Deutsche Unternehmen, die in Frankreich aktiv sind, müssen abwarten, was passiert. Und dann eben schnell und flexibel auf die wirtschaftspolitischen Veränderungen reagieren.
Bislang bekommen sie das ja ganz gut hin – sonst liefen die Geschäfte schlechter. Warum sind deutsche Unternehmen in Frankreich so erfolgreich?
Sie punkten in Frankreich mit dem, was überall in der Welt geschätzt wird: gute und innovative Produkte, Liefertreue, Zuverlässigkeit. Zudem sind es unter den europäischen Investoren in Frankreich die deutschen, die am meisten Arbeitsplätze schaffen. Das ist für das Image ganz wichtig. Was sich ferner für die deutschen Firmen sehr bezahlt gemacht hat, ist das ergänzende Angebot von unternehmensnahen Dienstleistungen. Das kommt gut an bei den Kunden in Frankreich.
Frankreich hat zuletzt für Bayerns Wirtschaft stark an Bedeutung gewonnen …
Ja, das stimmt. Die bayerischen Unternehmen waren in den vergangenen zehn Jahren besonders erfolgreich. Sie haben ihre Exporte um fast 17 Prozent gesteigert.
Für welche Branchen ist Frankreich besonders interessant?
Bisher war das Land ein wichtiger Absatzmarkt für Autos, Autozubehör, Maschinen und elektrotechnische Produkte. Gerade Bayerns Wirtschaft hat davon profitiert. Derzeit ist die Digitalisierung auch für Frankreichs Wirtschaft das große Thema. Deutsche Start-ups aus der Informations- und Kommunikationstechnologien könnten da ins Geschäft kommen. Die französische Industrie leidet unter geringer Produktivität – sie hat einen hohen Bedarf an Maschinen, Automatisierungstechnik und Robotik. Diese Nachfrage könnte noch steigen. Wenn etwa die französische Konjunktur anzieht oder sich der Umbruch in der Autoindustrie beschleunigt.
Will Macron hier keine neuen Akzente setzen?
Doch, er will 15 Milliarden Euro für erneuerbare Energien und für die Berufsaus- und Weiterbildung investieren. Auch da könnten deutsche Firmen zum Zuge kommen.
In Frankreich besteht dringender Reformbedarf: hohe Steuern und Abgaben, schwerfällige Verwaltung, die 35-Stunden-Woche, frühes Rentenalter, ineffiziente Produktion, der Niedergang der Industrie, hohe Jugendarbeitslosigkeit, ein elitäres Bildungssystem, das zu viele Verlierer produziert. Wird das Macron nicht überfordern?
Er ist zumindest das Beste, was der Wirtschaft in der Stichwahl passieren konnte. Macron hat auch das richtige Ziel definiert: Frankreichs Wirtschaft soll wettbewerbsfähiger werden. Seine Vorschläge sind gut. Unternehmen sollen von niedrigeren Arbeitskosten und der Senkung der Körperschaftssteuer profitieren. Für Überstunden sollen keine Sozialabgaben mehr fällig werden. Bezieher des Mindestlohns sollen komplett von diesen Abgaben verschont werden. Das würde mehr Kaufkraft bringen. Die Frage ist nur, was er politisch durchsetzen kann.
Ob sich Frankreich zum Neustart aufrafft, wird sich beim Thema 35-Stunden Woche zeigen …
Ja, die 35-Stunden Woche ist das große Symbol, das linke und rechte Reformgegner verbissen verteidigen. Dem Standort schadet das. Tatsächlich wird schon heute in Frankreich mehr als 35 Stunden gearbeitet. Niemand wagt es aber in der öffentlichen Debatte, diese Zahl auch nur anzutasten. Ich halte es für ein wichtiges Signal, dass Macron über Betriebsvereinbarungen für mehr Flexibilität sorgen will. Genau darum geht es: mit kleinen, aber stetigen Fortschritten Vertrauen aufbauen.
Ein altes Problem Frankreichs ist seine schwerfällige und zentralistische Bürokratie. Sehen Sie da neue Risiken?
Die gibt es tatsächlich. Das Thema Mitarbeiterentsendungen ist für Frankreich hoch brisant. Macron hat als Wirtschaftsminister die Meldevorschriften für deutsche Unternehmen aus Bau, Montage und Transport verschärft. Er bekennt sich zwar zur Freizügigkeit des Dienstleistungsverkehrs, pocht aber auch auf soziale Mindeststandards. In dem Punkt bleibt er wahrscheinlich auf dem alten Kurs: illegale Entsendungen, Lohn- und Sozialdumping rigoros bekämpfen. Es kann zu stärkeren Kontrollen und zeitlichen Begrenzungen der Mitarbeiterentsendung kommen.
Wie können sich deutsche Unternehmen über die aktuelle Rechtslage in Frankreich informieren?
Sie können sich jederzeit an uns wenden. Wir informieren umfassend über das Thema, erledigen die Anmeldeformalien und können zudem auch als erforderlicher Vertreter in Frankreich benannt werden. Wir stehen in allen Regionen in direktem Kontakt mit den zuständigen französischen Behörden.
Wird Macron auch europäische Reformen auf den Weg bringen können? Die Unternehmen wünschen sich mehr Binnenmarkt und weniger Bürokratie.
Das ist eines seiner großen Ziele: die europäische Integration voranbringen – mit einheitlichen steuerlichen und sozialen Rahmenbedingungen. Macron teilt die Einsicht vieler Ökonomen, wonach der Euro auch eine koordinierte EU-Wirtschaftspolitik verlangt. Er will deshalb ein gemeinsames EU-Investitionsbudget und einen europäischen Wirtschaft-und Finanzminister für die Eurozone ernennen. Diese Pläne sind hoch umstritten. Er weiß, dass er das ohne die Hilfe Deutschlands nicht schafft. Wie die Chancen stehen, werden wir nach den ersten Gesprächen Macrons mit Kanzlerin Merkel sehen.
Die Fragen stellte Bernhard Schuster, Projektleiter Geschäftsbereich International, IHK Rhein-Neckar, redigiert von Martin Armbruster der IHK für MÜnchen und Oberbayern.
(Quelle: IHK München für Oberbayern)