Um über den Tellerrand hinauszublicken, brach Mitte Oktober 2019 eine Gruppe von mainfränkischen Unternehmern unterschiedlicher Branchen zu einer von der German Industry & Commerce, Shanghai (AHK) und der IHK gemeinsam organisierten Reise nach Shanghai und Hangzhou auf. Dabei richtete die Gruppe einen Scheinwerfer auf das Thema Digitalisierung.
Zukunftsorientiert, selbstbewusst und elegant, so stellt sich Shanghai mit seinen 24 Millionen Einwohnern dar. Auch das südwestlich, etwa 190 Kilometer entfernte 5,6 Millionen Einwohner zählende Hangzhou, hat sich ebenfalls auf die Welt von morgen ausgerichtet. Hier sind u.a. die AI-Town (AI: Artificial Intelligence) und der Onlinehändlers Alibaba beheimatet.
China auf der Überholspur
An China führt kein Weg vorbei: 1,4 Milliarden Menschen umfasst die Volksrepublik. 800 Millionen Menschen haben bereits Zugang zum Internet. In vollem Gange ist beim „Großen Drachen“ gerade eine Hightech-Revolution. Im Jahr 2005 trug China weniger als 1 % der weltweiten Transaktionen im E-Commerce bei. Der Anteil konnte laut dem McKinsey Global Institute schon bis zum Jahr 2017 auf 42,4 % anwachsen. Die Rate der mobilen Zahlungen wuchs von 25 % in 2013 auf 68 % in 2016 an.
Die USA und China kämpfen um die Vorherrschaft beim Thema „Künstliche Intelligenz“ (KI/AI). Die chinesische Wirtschaft soll durch KI massiv modernisiert werden. Dabei lässt sich Beijing die Digitalisierung Milliardenbeträge kosten. Medienberichten zufolge sollen in China bis zum Jahr 2020 insgesamt 570 Millionen Überwachungskameras installiert worden sein. Das Straßenbild Shanghais spricht diesbezüglich eine unmissverständliche Sprache. Jeder Winkel der Megacity scheint im Visier von Kameras zu sein. Metropolen wie Chongqing oder eben Shanghai sind diesbezüglich Versuchsstädte. China will das nächste soziale Experiment in Form von digitaler Überwachung erproben. Smart-City-Konzepte werden per KI abgewickelt. Der gesamte Verkehrsfluss soll damit effizienter geleitet werden, was sich positiv auf Luftqualität und Wirtschaftswachstum auswirken soll. Verkehrsverstöße wie zu schnelles Fahren oder Falschparken werden automatisch über Kameras registriert. Strafzettel werden binnen von Minuten auf das Smartphone des Fahrzeughalters zugestellt. Passanten, die an bestimmten Kreuzungen bei Rot über die Straße gehen, werden via Foto auf einem Display am Straßenrand „umerzogen“. Modernste Gesichtserkennung hilft dabei, die Aufklärungsquote krimineller Handlungen signifikant zu verbessern, was Shanghai insgesamt zu einer sicheren Stadt macht. War die Unternehmergruppe im Angesicht der unzähligen Kameramasten bestürzt, so wurde doch festgestellt, dass die Überwachungstechnik immer weniger im Reiseverlauf auffiel.
Die andere Seite der Betrachtung
Ab 2020 will die Staatsführung mit Hilfe der Möglichkeiten der Digitalisierung das sogenannte „Social Credit System“ einführen. Es greift auf verschiedene Datenbanken zu und ist ein online betriebenes Rating- oder Scoring-System. Beispielsweise können damit die Kreditwürdigkeit, das Strafregister und das soziale und politische Verhalten von Unternehmen, Personen und weiteren Organisationen zur Ermittlung ihrer Reputation verwendet werden. Dieses System kann das Leben eines Chinesen umfassend beeinflussen. Delikte können über den Entzug von Komfort und Vergünstigungen - beispielsweise dem Verbot des Fliegens oder auch dem Versagen des Besuchs von Universitäten geahndet werden. Insgesamt ist allerdings die genaue Umsetzung des Social Credit Systems bzw. der Einfluss dieses Systems auf die Unternehmen und den Einzelnen noch nicht vollends absehbar.
Effizienz, Arbeitserleichterung und Bequemlichkeit im Fokus der Chinesen
Die mainfränkischen Unternehmen hatten neben einer Reihe von Besuchen bei Startups bis hin zu den beiden Hi Tech Olympioniken SAP und Alibaba zudem „live“ Berührung zum chinesischen Alltag. Christian Scheller, Firma Bauteilprüfzentrum Scheller GmbH aus Schweinfurt und Mitglied des IHK-Präsidiums war ein Mitglied der Reisegruppe. Er bemerkte, dass AHK und IHK mit der der Auswahl der Programmpunkte zeigten, wie man auch als kleines - und mittelständisches Unternehmen in China aktiv werden könne. Dabei sei der Fortschritt beim Thema Digitalisierung vor allem im Alltag spürbar. Staunen in der Reisegruppe – im Vergleich zu Deutschland befindet sich Shanghai in einigen Servicebereichen des Einzelhandels bereits auf einem deutlich höheren Niveau. Per App bestellte Ware wird durch einige Supermärkte kostenfrei binnen 30 Minuten und innerhalb eines Radius von 3 Kilometer verlässlich überall hin geliefert. Sonntagnacht in einem Supermarkt sah die Reisegruppe Gemüse in der Auslage. Die auf der Verpackung abgedruckte Zahl „7“, gab an, dass die Ware am gleichen Tag geerntet, verpackt und in den Verkehr gebracht wurde. Bei einem Modeeinzelhändler wurde der Reisegruppe demonstriert, was ein Kunde für einen Zusatznuten im Shop haben kann. Das Abheben eines Kleides von der Stange bewirkte ein sofortiges Aufleuchten eines großen Displays auf welchem ein Model die Ware in einer Kombination trägt. In einem Restaurant wurde das Essen über das Smartphone per eingescannten QR-Code bestellt. SAP präsentierte der Gruppe beispielsweise ein Geschäftsmodell welches mit smarter Gesichtserkennung arbeitet. Mit Hinblick auf Kaufempfehlung werden Geschlecht, Alter und sogar die Stimmung des potenziellen Kunden ausgewertet. SAP arbeitet aber auch an anderen Themen. KI wird beispielsweise in der Radiologie eingesetzt und unterstützt Ärzte bei der Analyse von Krankheiten und spricht Empfehlungen aus. Der chinesische Automobilbauer NIO, aus dem Bereich Elektromobilität, visiert den europäischen Markt an. Die mainfränkischen Unternehmer konnten sich von der Qualität der Fahrzeuge, aber auch insbesondere der modernen Spracherkennung und dem NIO-Geschäftsmodell vertraut machen.
„No WeChat no life“ - Mobiltelefon als „Schlüssel“ ins digitale Universum
Das Smartphone wird von den Chinesen extrem intensiv in den meisten Bereichen des Lebens genutzt. Schon zur Mittagszeit steht das Handy fast schon auf Reserve. Zentraler Knotenpunkt des digitalen Alltags ist die Application WeChat. Hierüber laufen u.a. Chats, Verträge mit Geschäftskunden, Bezahlvorgänge in der Metro, im Supermarkt oder im Restaurant ab. Geldbeutel ein Relikt der alten Zeit - in China laufen elektronische Transaktionsvorgänge um ein Vielfaches schneller als bei uns ab. Statt eine Geheimzahl einzugeben oder eine Karte in einen Schlitz einzuschieben, laufen Bezahltransaktionen über WeChat oder Alipay um ein Vielfaches schneller ab.
Fazit der Reise
Kurt Treumann, IHK-Bereichsleiter International bemerkte, dass die Reisegruppe Zeuge war, was erst den Anfang eines digitalen Umbruchs in China, vor allem angefeuert durch KI, bedingt. Die Reisenden wähnten sich fast in einem Science Fiction. Die Skyline von „Pudong“ gibt dazu ein eindeutiges Statement Chinas ab. Der „Shanghai Tower“ mit 632 Metern oder der imposante „Oriental Pearl Tower“ mit „nur“ 468 Meter stehen stellvertretend dafür, was China schon erreicht hat, aber auch wie hoch die Messlatte für alle in der Welt hängt. Bis zum Jahr 2030 will China zur Supermacht aufsteigen, was KI betrifft. Für die Geschwindigkeit ist nicht nur eine Vielzahl von Applications verantwortlich, die den Alltag der Chinesen leichter machen. Es schien, dass man in China gewillt ist im Durchschnitt länger und intensiver und damit härter als in unserer Gesellschaft zu arbeiten. Vergleicht man China bei der Digitalisierung mit Deutschland, werden bei uns ganz zentrale Probleme augenfällig. Das Internet ist schwächer, demokratische Prozesse laufen naturgemäß langsamer ab. Durch den Ansatz der Datensparsamkeit hat Deutschland schlichtweg eine nachteilige Position gegenüber China. Mit Hilfe der Größe des eigenen Marktes sammelt und bewertet China jeden Tag umfassend seine Daten. Während der Reise wurde immer wieder darüber gesprochen, dass bei der Digitalisierung in Deutschland eine bremsende, da oftmals skeptische Einstellung gegenüber der Weiterentwicklung und der Integration der Digitalisierung in den Alltag vorherrscht. Anders in China. Dort steht man der Digitalisierung gegenüber sehr offen gegenüber und nach „try and error" werden Neuerungen begeistert ausprobiert. Die neue Generation der Chinesen erkennt Trends und kreiert diese nun selbst. Der chinesische Kontext lautet „Survival of the Fittest“. Dadurch gewinnt China extrem an Dynamik. Es scheint, dass dies mit uns zunehmend inkompatibler wird. China wird für Europa herausfordernder und noch stärker werden, was Qualität und Quantität betrifft. Fatal würde eine Abhängigkeit Europas von ausländischen Technologien sein. Wie kann sich Europa gegenüber China oder auch der USA wettbewerbsfähig machen können?
Text: Kurt Treumann, IHK Würzburg-Schweinfurt