von Mechthilde Gruber
Die Prognose ist weit in die Zukunft gerichtet: Die „Next Eleven“ werden in den nächsten Jahrzehnten eine wichtige Rolle auf dem Weltmarkt spielen und bis zum Jahr 2050 in ihrer Entwicklung dort angelangt sein, wo die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) heute sind. Jim O’Neill, Chefvolkswirt von Goldman Sachs, hat den Begriff geprägt: Die elf „Nächsten“ – das sind Ägypten, Bangladesch, Indonesien, Iran, Nigeria, Pakistan, Philippinen, Mexiko, Südkorea, Türkei und Vietnam. Bis spätestens 2050 wird auch das letzte dieser Entwicklungs- und Schwellenländer den Rückstand zu den Industrienationen aufgeholt haben, so das Urteil des Finanzexperten.
Die Stars von morgen präsentieren sich heute allerdings keineswegs als homogene Gruppe. „Die Next Eleven befinden sich in sehr verschiedenen Entwicklungsstadien“, sagt Gabriele Vetter, Außenwirtschaftsexpertin der IHK München. „Was sie aber auszeichnet ist ihre schnell wachsende junge Bevölkerung und ihr beeindruckendes Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren.“ Viele der Next-11-Länder waren von der Krise kaum betroffen oder haben sie, wie Mexiko oder die Türkei, schnell überwunden. Neun der elf Staaten konnten auch im Krisenjahr 2009 ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigern. Eine wachsende Mittelschicht stärkt die Binnennachfrage, der Ausbau der Infrastruktur treibt die Wirtschaft voran. Der Beitrag der Länder zur Weltwirtschaftsleistung wird von Jahr zu Jahr wichtiger. Selbst wenn die Europäische Union und die USA 2012 ein Nullwachstum hinnehmen müssten, gehen Fachleute davon aus, dass diese Schwellenländer mindestens fünf Prozent Wachstum vorweisen. „Alle diese Länder tragen in Zukunft einen wesentlichen Anteil zur Stabilisierung der Weltwirtschaft bei“, sagt IHK-Außenwirtschaftsexperte Johannes Huber. „Allerdings gibt es heute zwischen den Ländern noch erhebliche Unterschiede.“
Der Zugang zu den Märkten ist in den wenigsten Fällen einfach, in einigen sogar extrem schwierig. Die so genannten „Next 8“ – das sind die Next Eleven ohne Nigeria, Iran und Bangladesch – sind weiter entwickelt, aber nur die „Next 7“ – ohne Ägypten – gelten an der Börse als Anlageempfehlung. Gerade dort, wo große Wachstumsaussichten locken, müssen Unternehmen bei einem wirtschaftlichen Engagement oft mit erhöhten Risiken rechnen. Eine instabile politische Lage, mangelnde Rechtssicherheit und eingeschränkter Zugang zum Kapitalmarkt gehören in einigen Next-11-Staaten zu den Herausforderungen. Zudem werden manche Länder regelmäßig von Naturkatastrophen heimgesucht. Neben der menschlichen Not ist dies zugleich ein starkes Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Regionen.
Zwei Länder, Mexiko und Südkorea, haben allerdings schon heute den Anschluss an die erste Reihe der Industrienationen geschafft. Mexiko, die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas, hat nach Brasilien die zweitgrößte Bevölkerungsdichte der Region. Durch die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA ist die mexikanische Wirtschaft eng mit der weltgrößten Wirtschaft der USA verbunden. Mexiko ist einer der größten Erdölexporteure der Welt, Schwerpunkte der Wirtschaft liegen in den Bereichen Dienstleistungen, Industrie und Handel. Nach einem kurzen Einbruch während der Finanzkrise betrug das Wirtschaftswachstum bereits 2010 wieder 5,5 Prozent. Deutsche Unternehmen sind in Mexiko sehr gut vertreten. Unter anderem bietet der Bereich Umweltschutz viele Möglichkeiten für ein Engagement. Zur Reduzierung der CO2-Emmissionen muss die gesamte Industrie in Mexiko neu investieren. „Hier sind die bayerischen Unternehmen gut aufgestellt“, sagt IHK-Expertin Gabriele Vetter. Ein großes Problem für den lateinamerikanischen Staat ist allerdings die wachsende Kriminalität und der Drogenkrieg. Die wirtschaftliche Entwicklung wird davon zunehmend negativ beeinflusst.
In der Türkei dagegen gelten die politischen Reformen der letzten Jahre sowie der mögliche EU-Beitritt als Antrieb der türkischen Wirtschaft. Mit einem Wachstum von 8,9 Prozent lag das Land in Europa und den OECD-Staaten an der Spitze und konnte im ersten Halbjahr 2011 mit 10,2 Prozent Wachstum weltweit die höchste Rate erzielen. Schon heute zählt die Türkei zu den 20 größten Volkswirtschaften der Welt. Treibende Kraft ist dabei die leistungsfähige Industrie, vor allem die Automobil- und Zulieferindustrie, Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Bauwirtschaft. Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind traditionell sehr gut, die bayerischen Exporte stiegen im ersten Halbjahr 2011 um über 50 Prozent. Gute Geschäftschancen bieten sich auch in Zukunft vor allem auf dem Energiesektor, bei Infrastrukturvorhaben, im Bereich Medizintechnik, im Tourismus sowie im Umweltschutz.
„Auf dem nicht ganz so einfachen, dafür sehr spannenden afrikanische Markt Nigeria hat sich in den letzten Jahren auch einiges getan“, betont Gabriele Vetter. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas verfügt über sehr große Öl- und Gasvorkommen, allerdings leben hier noch mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in Armut. Die mangelhafte Infrastruktur, vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport, gilt als Haupthinderungsgrund für die wirtschaftliche Entwicklung – ist aber gleichzeitig ein interessanter Sektor für deutsche Unternehmen. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre – regelmäßig zwischen sieben und acht Prozent – war bisher weitgehend auf die hohen Öleinnahmen zurückzuführen. Weitere erfolgreiche Bereiche sind Banken, Telekommunikation und Agrarwirtschaft. Zu Nigerias Schattenseiten gehören politische Instabilität, Wirtschaftskriminalität und Korruption. Wer sich in diesem Zukunftsmarkt engagieren will, sollte sich deshalb seine Partner sehr sorgfältig aussuchen und die Geschäfte lieber zu viel als zu wenig absichern, meint Afrika-Expertin Vetter: „Nigeria hat ein riesiges Entwicklungspotenzial, wenn die Regierung die Probleme in den Griff bekommt.“ Den Kampf gegen die Korruption hat die Regierung jetzt zu einem Ziel ihrer Wirtschaftspolitik erklärt.
Tief in der Krise steckt der vor Jahresfrist noch wachstumsstarke Next-11-Staat Ägypten. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Nahost-Region befindet sich heute in einer Transformationsphase und ist von stabilen Verhältnissen weit entfernt. Die anhaltenden Unruhen haben starke Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben und behindern derzeit das Wachstum. Ägypten, ein Schlüsselland für das Gelingen des „arabischen Frühlings“, muss erst seine Stabilität wiedergewinnen, Handel ist zur Zeit nur eingeschränkt möglich. Die politischen Umwälzungen können jedoch auch als Chance begriffen werden. Langfristig werden besonders der Investitionsbedarf im Infrastrukturbereich sowie die Tourismusbranche wieder Möglichkeiten für ein Engagement bieten.
Zwischen dem von Umwälzungen erschütterten Entwicklungsland Ägypten und Südkorea, dem aufstrebenden und bereits hochtechnisierten Industrieland, liegen nicht nur geographisch Welten. Dieser Next-11-Staat spielt schon heute in einer anderen Liga. Hinter China und Japan ist Korea der drittwichtigste Markt in Asien. Auf den Gebieten Schiffbau, Automobil, Chiptechnik und Konsumelektronik zählt das Land zu den führenden Nationen – für deutsche Unternehmen ein interessanter Partner für Kooperationen im Hightech-Bereich und ein attraktiver Markt für Anbieter von Investitionsgütern. Mit knapp 50 Millionen Einwohnern und einem Pro-Kopf-Einkommen von 20.000 US-Dollar bietet Korea einen großen Absatzmarkt für deutsche Produkte. Als wichtigster europäischer Handelspartner wird Deutschland künftig besonders von dem Freihandelsabkommen profitieren, das im Juli 2011 als erstes Abkommen dieser Art zwischen der EU und einem asiatischen Partner in Kraft trat. Die ohnehin schon sehr guten Wirtschaftskontakte zwischen Bayern und Südkorea werden sich dadurch noch weiter intensivieren, sagt Südostasien-Experte Johannes Huber: „Die Zölle sind gesenkt und bürokratische Hindernisse fallen weg, das ist für beide Seiten attraktiv und wird neue Impulse bringen.“
Im Gegensatz zu Südkorea ist Vietnam ein Schwellenland, das seine große Entwicklung erst noch vor sich hat. Mit seinen 87 Millionen Einwohnern gehört das Land zu den nach China am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Asiens. Und das soll sich laut Experten auch in Zukunft fortsetzen. Großes Potenzial für deutsche Unternehmen liegt im Bereich Infrastrukturausbau (U-Bahn, Eisenbahn und Flughäfen), Energieversorgung sowie Energieeffizienz. „Vietnam ist ein Land, das sich wirtschaftlich auf einem sehr interessanten Pfad befindet“, sagt IHK-Experte Huber. Für bayerische Unternehmen, die globalisieren, ist das sozialistische Land auch als Produktionsstandort interessant: Stabile politische Verhältnisse, niedrige Lohnkosten und eine junge, fleißige Bevölkerung machen den Standort gerade im Vergleich zu China attraktiv.
Von den Next-11-Staaten noch viel zu wenig im Fokus der exportorientierten bayerischen Wirtschaft ist Indonesien, das mit 240 Millionen Einwohnern viertgrößte Land der Erde. Hier steckt schon jetzt gewaltiges Potenzial, das sich in den nächsten Jahren weiter sehr dynamisch entwickeln wird, sagt Rechtsanwältin Sonja Drexl-Trautmann, die mehrere Jahre die Rechtsabteilung der AHK in Indonesien leitete und heute mittelständische Unternehmen bei ihren Aktivitäten in Südostasien berät. Sie stellt die Frage, warum schwierige Märkte wie China so viel Aufmerksamkeit erhalten, gefälligere Märkte wie Indonesien dagegen zu wenig beachtet werden: „Deutsche Unternehmen sind gegenüber Indonesien immer noch zurückhaltend. Dabei bietet das Land viele Chancen und nur wenig Risiken – sowohl als Absatz- und Beschaffungsmarkt, aber auch als Produktionsstandort.“ Indonesien punktet mit sehr stabilen wirtschaftlichen Rahmenbedingung. Das seit Jahren hohe Wirtschaftswachstum wurde auch durch die weltweite Krise nicht gebremst, 2012 soll das BIP um weitere 6,7 Prozent steigen. Die größte Volkswirtschaft Asiens verfügt über politische Stabilität und eine wachsende Mittelschicht. Die junge, westlich orientierte Bevölkerung in den Städten zeigt große Konsumbereitschaft, ist interessiert an neuen Produkten und Technologien. „Was die Attraktivität des Marktes ein wenig eintrübt, sind die großen Defizite in der Infrastruktur und die rechtlichen Rahmenbedingung.“ Korruption ist weit verbreitet, damit werde man regelmäßig konfrontiert, sagt Rechtsexpertin Drexl-Trautmann. Man kann in Indonesiens Geschäftswelt allerdings sehr gut überleben, ohne sich darauf einzulassen, so ihre Erfahrung: „Zwar dauert es länger, wenn man die Regeln beachtet, dafür ist man dann aber unangreifbar und kann ungestört seine Geschäfte machen.“
Wie alle Next-11-Staaten ist auch Indonesien kein Markt, der sich schnell erobern lässt. Eine gute Vorbereitung, die sich nicht nur auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beschränkt, ist hier besonders wichtig, meint Drexl-Trautmann. „Wer sich in Indonesien mit der Geschichte und Kultur des Landes beschäftigt und persönliches Interesse auch an der Familie des Geschäftspartners zeigt, der schafft eine Vertrauensbasis, die hier die Plattform für wirtschaftliches Handeln ist.“
So ist hier nicht nur Risikobereitschaft, sondern ebenso sehr Fingerspitzengefühl gefragt, um in diesen Schwellenländern erfolgreich zu agieren. Immer mehr bayerische Mittelständler nehmen diese Herausforderung an, denn innerhalb Europas wird es Märkte mit Wachstumsraten dieser Höhe nicht mehr geben. Die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Einstieg ist hier wie anderswo, sich gründlich auf das einzelne Land vorzubereiten. Die Einzelberatung bei der IHK ist dafür ein erster Schritt. Gerade in diesen schwierigen Ländern bietet das Förderprojekt „Go International“ schnelle und unbürokratische Hilfe: Ein Auslandsexperte, der auf das Zielland spezialisiert ist, steht bei den ersten Aktivitäten als Coach zur Seite, für den Aufbau von Internet-Seiten und Firmenpublikationen in der Landessprache sowie für Messeauftritte, Produktzertifizierungen oder Adressrecherchen werden Zuschüsse bis zu 20.000 Euro gezahlt. Sicher der einfachste Weg, das mit den Next-11-Staaten verbundene Risiko zu minimieren.
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Nutzen Sie das Expertenwissen des Enterprise Europe Network (EEN), das gezielt über Fördermöglichkeiten für KMU informiert. Das EEN hat auch in Tunsien Büros. Hier finden Sie die Kontaktdaten: http://portal.enterprise-europe-network.ec.europa.eu/about/branches/TN/
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