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Brexit: Es wird höchste Zeit - bereiten Sie sich vor!

Großbritannien hat sich in einem Referendum am 23. Juni 2016 mit knapper Mehrheit entschieden, die Europäische Union zu verlassen. Mit Einreichen des Austrittsgesuchs am 29. März 2017 bleibt für die Aushandlung desAustrittsabkommens genau zwei Jahre Zeit. Damit scheidet das Vereinigte Königreich am 29. März 2019 aus der EU aus. Die von der EU und Großbritannien vereinbarte Übergangsphase von 21 Monaten kommt nur, wenn das Austrittsabkommen rechtzeitig vollständig ausgehandelt und ratifiziert werden kann. Das ist momentan alles andere als sicher. Es herrscht zwar bereits über rund 80-90 Prozent des Abkommens Einigkeit, doch die noch offenen Punkte sind die Kritischsten: u.a. eine Lösung für die Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland zu finden. Gelingt das nicht, kommt es am 29. März 2019 zu einem ungeordneten Austritt. Die Brexit-Experten der IHK für München und Oberbayern Kristina Mader, Referentin EU-Politik und Europäische Projekte, Eva Wördemann aus dem Bereich Zoll und Alexander Lau, stellvertretender Bereichsleiter Außenwirtschaft und Referatsleiter Europa, sprachen mit dem Auwi-Portal über mögliche Brexit-Szenarien, den dringenden Handlungsbedarf für alle Beteiligten und gaben Tipps, wie sich die Wirtschaft auf den EU-Ausstieg der Briten vorbereiten kann.

 

Bitte skizzieren Sie die wichtigste Änderung beim Warenverkehr mit Großbritannien bei Eintritt des Brexit, die auf ein mittelständisches Unternehmen zukommen könnten.

Die künftige Zusammenarbeit zwischen der EU und Großbritannien ist weiterhin unklar. Bisher steht nur eins fest: Die Warenfreiheit, die es aktuell gibt, wird es so nicht mehr geben. Es wird sich vieles ändern! Geht es nach den Vorstellungen der Briten, haben wir ab dem 1. Januar 2021 eine Kombination aus Freihandelszone und Zollpartnerschaft. So sieht das White Paper, das die britische Regierung am 12. Juli veröffentlicht hat, zum Beispiel die Übernahme der EU-Produktstandards in britisches Recht und ein „vereinfachtes Zollarrangement“ vor.
Auch wenn dieses Szenario nur geringe Auswirkungen auf den Warenverkehr und die Unternehmen hätte, ist es eher unrealistisch. Aus Sicht der EU sind die vier Grundfrei-heiten, nämlich der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital, jedoch untrennbar. Ein „Rosinen picken“ könne es nicht geben. Einen Binnenmarkt nur für Waren wird es daher voraussichtlich nicht geben. Ein umfassendes, ambitioniertes Freihandelsabkommen wäre jedoch wünschenswert.
Die EU strebt ein solches klassisches Freihandelsabkommen an wie sie es bspw. mit Kanada abgeschossen hat. Freihandelsabkommen sehen Zollvergünstigungen jedoch nur für Ursprungswaren vor. Von daher sollten sich Unternehmen, die Ware nach Großbritannien exportieren oder Ware aus Großbritannien in die EU27-Länder einführen, neben Zollanmeldung und Zollverfahren intensiv mit dem Thema Warenursprung und Präferenzen befassen. Hier unterstützen die IHKs und der Zoll.
Der „worst case“ wäre, dass es bis März 2019 nicht zu einer Einigung kommt. Dann müssen die Unternehmen ab dem 30. März 2019 Zollformalitäten erledigen, wie bei jedem anderen WTO-Drittland. In diesem Fall müssten Zölle entrichtet werden, es gäbe Grenzkontrollen, viel Bürokratie und wahrscheinlich lange Wartezeiten an den Grenzen. Auch wenn nach wie vor ein Austrittsabkommen die wahrscheinlichere Möglichkeit ist, sollten sich die Unternehmen dringend auf alle möglichen Szenarien vorbereiten und Notfallpläne ausarbeiten!
Das heißt, Unternehmen mit direktem Großbritannien-Geschäft sollten

• eine EORI-Nummer beim Zoll beantragen (wenn sie diese nicht bereits haben),
• die Warennummern kennen,
• sich mit Datenbanken wie der Market Access Database vertraut machen, um künftig Zollsätze und Ähnliches in Erfahrung zu bringen und
• sich mit dem Thema Warenursprung auseinandersetzen.

Im Falle einer Übergangsphase bleibt den Unternehmen etwas mehr Zeit zur Vorbereitung. In der 21-monatigen Frist würde sich nur wenig bis gar nichts beim Großbritannien-Geschäft ändern. Es ist jedoch noch nicht sicher, was mit Vormaterialien aus dem Vereinigten Königreich passiert. Vormaterialien aus Großbritannien würden eigentlich ab dem 30. März 2019 keinen EU-Ursprung mehr haben und in entsprechenden Präferenzkalkulationen nicht mehr berücksichtigt werden können. Inwieweit die Partnerländer eine Ausnahme für eine eventuelle Übergangsphase akzeptieren, wird derzeit geklärt.

Welches könnte das größte Problem sein bei der Geschäftsabwicklung?

Das größte Problem haben wir im Grunde jetzt: Den Unternehmen fehlt Planungssicherheit. Die Zeit wird knapp und es ist noch immer nicht klar, worauf sich die Unternehmen einstellen müssen. Die Höhe eventueller Zölle ist dabei ein Thema, aber hier geht es auch um internationale bzw. grenzüberschreitende Lieferketten, um Strukturen, die sich nicht innerhalb weniger Wochen neu ausrichten lassen.
Neben dem Warenverkehr ist auch die Mitarbeiterentsendung stark betroffen, Themen wie Steuern, Verträge, Finanzdienstleistung, Logistik, etc. spielen auch eine große Rolle. Hier gibt es überall Aspekte, die die Geschäftsabwicklung beeinflussen können und es ist immer im Einzelfall zu prüfen, wo das größte Problem liegt. Aufgrund der mangelnden klaren Linie, scheint es so, dass Unternehmen das Thema Brexit aufschieben. Das ist gefährlich, denn am Ende bleibt vielleicht nicht ausreichend Zeit, um die notwendigen Vorkehrungen noch rechtzeitig treffen zu können. Wir empfehlen den Unternehmen, sich daher bereits jetzt umfassend vorzubereiten. Dadurch könnte der Aufwand vielleicht etwas höher sein, als am Ende tatsächlich notwendig, doch das wäre sicher besser, als dass es beispielsweise zu Lieferverzögerungen kommt.
Mit Sicherheit wird es bei den Grenzkontrollen zu Problemen kommen. Vor allem Speditionen/Logistikunternehmen müssen mit langen Wartezeiten rechnen, die Mehrkosten verursachen. Anschlussaufträge werden nicht ohne zeitliche Puffer geplant werden können, was zu Auftragsausfällen führen kann. Auch die verpflichtenden Ruhezeiten der LKW-Fahrer sind hierbei ein Thema. Auf lange Sicht können die bürokratischen Prozesse in Großbritannien von den europäischen Prozessen abweichen, zum Beispiel bei der Produktkennzeichnung. Zwar sind die Prozesse auch im Binnenmarkt nicht in allen Mitgliedsstaaten gleich, doch sind grobe Richtlinien in vielen Bereichen (z.B. die Entsenderichtlinie) von Seiten der EU vorgegeben.

Wie können sich KMU auf den Brexit vorbereiten? Wird es höchste Zeit oder haben sie noch etwas Luft?

Es wird für Unternehmen höchste Zeit, die betriebsinternen Prozesse grundsätzlich zu überprüfen: Gibt es bestehende Vertragsverhältnisse mit britischen Geschäftspartnern? Importiert bzw. exportiert das Unternehmen aus/nach Großbritannien? Nutzt das Unternehmen im Irlandgeschäft den Transit über Großbritannien (Transit über die "Land bridge")? Falls ja, gäbe es alternative Routen? Bezieht das Unternehmen Vorprodukte aus Großbritannien? Wurde die gesamte Lieferkette überprüft? Hat das Unternehmen Mitarbeiter mit britischer Staatsangehörigkeit?
In einem zweiten Schritt sollten dann Maßnahmen ergriffen bzw. Notfallpläne erarbeitet werden. In einigen Unternehmen bieten sich beispielsweise firmeninterne Arbeitsgruppen an. Auch die Schulung von Mitarbeitern für künftige Zollabwicklungen, die Änderung von Lieferbedingungen, die Suche nach neuen Lieferanten, etc. sind Möglichkeiten.
Hilfreich für die Überprüfung, ob ein Unternehmen vom Brexit betroffen sein könnte und ob bereits ausreichend Vorbereitungen getroffen wurden, ist die IHK-Brexit-Checkliste. Dieser Brexit-Check ist auch online HIER abrufbar. Darüber hinaus planen viele IHKs auch Brexit-Veranstaltungen, in Nürnberg am 26. September, in München am 14. November… Nutzen Sie das Angebot, informieren Sie sich, tauschen Sie sich aus und bereiten Sie sich vor!

Wie sieht es bei der Dienstleistungserbringung und Entsendung von Mitarbeitern nach GB aus? Welche Änderungen ergeben sich hier?

Die Änderungen bei der Entsendung von Mitarbeitern nach Großbritannien sind noch nicht absehbar. Was jedoch sicher ist, ist dass die Entsenderichtlinie der EU keine Anwendung mehr finden wird. Für Unternehmen, die regelmäßig Mitarbeiter nach Großbritannien entsenden, wäre daher dringend zu empfehlen, dass sie sich frühzeitig und umfassend vor jeder Entsendung über mögliche Änderungen der Regelungen informieren. Die Verfahren der britischen Behörden werden in jedem Fall länger dauern als bisher. Zudem sollten in neuen Verträgen mit Geschäftspartnern Auffangklauseln für die Übernahme der Mehrkosten für neue umfangreichere Verfahren vorgesehen werden, die aus der Entsendung entstehen können. Gründe für Mehrkosten können sein: zeitaufwändige Genehmigungsverfahren, ein möglicher Wegfall automatischer Anerkennungen von Qualifikationen und Berufsausbildungen, ggf. Visabeschaffung und andere bürokratische Auflagen. Ein denkbarer Ausweg für bayerische Unternehmen ist die Gründung einer britischen Tochtergesellschaft, die dann als lokaler Arbeitgeber fungiert.

Gibt es wenigstens irgendwo irgendeinen positiven Aspekt des Brexit Ihrer Ansicht nach?

Die Nachteile überwiegen derzeit eindeutig und das gilt für beide Seiten. Aber es gibt tatsächlich einen Punkt, bei dem der Brexit etwas Gutes bewirken kann: Der Brexit könnte sich stärkend auf das Geschäft innerhalb des EU-Binnenmarktes auswirken. Die Europäische Union als Projekt könnte stärker werden – eine Europäische Union in der man gerne lebt und arbeitet und die es in einer immer unruhigeren Welt zu bewahren und zu entwickeln gilt.

Kristina Mader, Referentin, IHK für München und Oberbayern
Eva Wördemann, Referentin, IHK für München und Oberbayern
Alexander Lau, Stellv. Bereichsleiter Außenwirtschaft, IHK für München und Oberbayern
Die Fragen stellte Karoline Rübsam, Redaktion Außenwirtschaftsportal Bayern