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Europa hat eine Chance auf gute Partnerschaft verschlafen

Die Asien-Pazifik-Gegend boomt. Das Handelsabkommen TPP ist in trockenen Tüchern und doch hält Europa sich zurück. Warum das so ist, lesen Sie im zweiten Teil des Interviews mit Europaabgeordneten Arne Gericke.

Mit Vietnam - dem Partnerland unseres diesjährigen Asien-Pazifik-Forums - gibt es nun ein Freihandelsabkommen. Wer wird davon profitieren? . Welche Perspektiven hat das Land?

Das Abkommen gilt als neues, besseres und modernes Modell für Freihandelsvereinbarungen der EU mit sich entwickelnden Ländern – und auch ich sehe viele positive Entwicklungen. Profitieren werden vor allem europäische Verbraucher. Weniger Handelsbarrieren und der Abbau fast aller Zölle – das kurbelt den Warenaustausch an, in beide Richtungen. In der Rangliste der wichtigsten EU-Handelspartner lag das Land nach jüngsten verfügbaren Zahlen auf Platz 29. Umgekehrt war die Europäische Union hinter China der zweitgrößte Handelspartner Vietnams. Allein Deutschland hat zuletzt Waren im Wert von über 2 Milliarden Euro nach Vietnam exportiert – und Importe für über 6 Milliarden Euro getätigt. Und es gibt noch weitere aussichtsreiche Handelspartner in Südostasien: Thailand, Bangladesch, Indien oder Kambodscha. Für viele deutsche Firmen ist Vietnam – nach vielen schlechten Erfahrungen – das neue China. All das ist gut – und wird auch dem Land selbst helfen, voranzukommen. Als Menschenrechtspolitiker hätte ich mir noch mehr Augenmerk auf Sozialstandards und Menschenrechte gewünscht – aber wir werden diesen Prozess intensiv und kritisch begleiten. Die Vorzeichen sind gut.

TPP ist in trockenen Tüchern, bei TTIP regt sich viel Widerstand. Besteht die Gefahr, dass wir in Europa abgehängt werden und andere die Maßstäbe setzen?

Es ist eine Frage unseres Verhandlungsgeschicks. Aktuell höre ich, amerikanische Unterhändler sind angenervt von den neuen Grundsätzen, die die europäische Seite bei den Verhandlungen anlegt. Ich glaube, TTIP wird zunehmend zu einem Markstein des globalen Handels. Klar ist: Weder Amerika noch Europa werden unter den aktuellen wirtschaftspolitischen Verhältnissen weltweit von einem Misslingen TTIPs profitieren. Ich meine: So lange Europa am Verhandlungstisch bleibt, können wir neue Maßstäbe setzen.

Welche Zukunftsaussichten hat der asiatisch-pazifische Raum?

Sie haben TPP bereits angesprochen – das Handelsabkommen zeigt exemplarisch, wie interessant die Wirtschaftsregion Asien-Pazifik für den Rest der Welt ist. Europa hat hier lange eine Chance auf gute Partnerschaft verschlafen. Ich meine, ökonomisch steht dem Raum eine rosige Zukunft ins Haus. Ökologisch dagegen könnte die Zukunft für eine Länder schwierig werden – die Erfolge von Paris hin oder her. Erst beim letzten AKP-Gipfel habe ich mich lange mit den Vertretern des Inselstaates Tuvalu unterhalten – vier bis fünf Meter ist der höchste Punkt dieses kleinen Inselstaates noch vom Meeresspiegel entfernt. Und Tuvalu ist nicht der einzige ökologische Problemstaat. Mein Ziel ist es: Europa weit stärker als verlässlicher Partner dieser Region zu etablieren. Das gilt für mich wirtschaftlich, das gilt aber auch in humanitären Krisen und Umweltkatastrophen. Gemeinsam mit Vertretern der Pazifikstaaten habe ich deshalb der AKP-Delegation die Einrichtung beständiger EU-Krisenzentren in Pazifik und anderen, weit entfernten, krisenanfälligen Regionen empfohlen. Unsere Reaktionszeiten waren – egal, ob wir Ebola in Afrika oder das Erdbeben auf Haiti nehmen – einfach zu lang.

Es ist nun viel die Rede davon, Fluchtursachen zu beseitigen. Was müsste da zuerst angepackt werden?

Ich habe bereits im Juni diesen Jahres eine eigene „AsylAgenda“ veröffentlicht – mit über 40 Forderungen, für die mancher mich damals noch belächelt hat. Heute sind viele von ihnen offizielle Position der EU oder der Bundesregierung. Wir brauchen in der Flüchtlingskrise sachliche, verantwortungsvolle und ganzheitliche Debatten – und ich finde, viele Politiker der großen Parteien lassen das schwer vermissen. Aber zu Ihrer Frage: Ja, wir müssen an die Fluchtursachen ran. Aktuell ist das vor allem der Bürgerkrieg in Syrien, gekoppelt mit dem Terror der Daesh in Syrien und Irak. Ganz oben auf der Agenda steht für mich deshalb mindestens eine Teilbefriedung Syriens. Und auch wenn das der Türkei nicht gefallen wird: Möglich scheint dies zu allererst im stark kurdisch geprägten Norden Syriens, konkret den Regionen al-Hasaka und ain-al-Arab. Eine solche Schwerpunktsetzung scheint mir auch deshalb sinnvoll, weil die Lage in Syrien insgesamt sehr verworren ist und die EU sich in internationaler Allianz auf einen höchst wagemutigen Kriegseinsatz eingelassen haben. Ich bin nicht dagegen: Aber ich will, dass wir den Krieg benennen. Es ist nichts anderes.

Profitieren wir von den Flüchtlingen?

Deutschlands Bürger und Gemeinden tragen aktuell eine unglaubliche Verantwortung. Egal, wohin ich komme: Das, was Ehrenamtliche und Kommunen leisten, ist unglaublich. Ich meine auch: Wir können von Migration profitieren – das heißt auch von den Flüchtlingen, die letztlich in Deutschland bleiben, die sich integrieren, die Arbeit suchen und auch finden werden. Diesen Prozess müssen viele begleiten, auch Wirtschaft und Arbeitgeber – und ja, wir können das schaffen. Ich hoffe aber auch sehr, dass wir in Deutschland und Europa dahingehend von den Flüchtlingen profitieren, dass wir aus unseren Versäumnissen in der gemeinsamen EU-Asylpolitik endlich lernen. Klar: Es ist schwierig, ein fehlerhaftes System in so turbulenten Zeiten zu ändern. Was wir machen, ist Krisenmanagement. Aber es ist auch nicht so, dass niemand Deutschland (lange Jahre übrigens selbst Blockierer einer gemeinsamen Lösung samt Umverteilungsquoten) und Europa vor dieser Entwicklung gewarnt hätte. Seien wir uns bewusst: Es wird sich kaum ändern. Mit dem Klimawandel, Wassernot, Terror und Krieg liegen die nächsten Flüchtlingsströme bereits im Keim. Langfristig werden wir nur profitieren, wenn wir Flucht und legale Zuwanderung als politisches Thema angehen. Konstruktiv – europaweit.