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Fair ist Pflicht: Kaffee in Kapseln weltpolitisch schmerzhaft
Afrika gilt vielen von uns als Armenhaus. Als lohnende Investitionsregion und Zukunftsmarkt sehen deutsche Unternehmen den Kontinent weniger. Ist das ein Fehler?
Im Grunde ist beides richtig – und doch viel zu pauschal. Weder kann man den afrikanischen Kontinent mit seinen Nationen und Regionen über einen Kamm scheren, noch lässt er sich grundsätzlich als Investitionsregion für Industrie und Mittelstand in Europa definieren. Aber klar ist: Afrika ist kein Armenhaus, Entwicklungspolitik keine Einbahnstraße. Als Koordinator meiner EKR-Fraktion für die EU-AKP-Delegation bin ich nun seit über einem Jahr im regelmäßigen Dialog mit nahezu allen afrikanischen Botschaftern in Brüssel, ich informiere mich über das AKP-Sekretariat und kooperiere eng mit der europäisch-afrikanischen Handelskammer. Schon heute ist die große Angst vor den 3K – Krieg, Korruption und Krankheiten – zumeist unberechtigt. Konflikte werden auch in Afrika zunehmend diplomatisch gelöst und auf den Korruptions-Indizes stehen bereits 40 afrikanische Länder hinter Russland. Zudem stelle ich immer wieder fest, wie wichtig die wirtschaftliche Entwicklung für alle weiteren Prozesse – politische Stabilität, Gesundheit, Bildung, sozialer Friede,… - in den Schwellenländern ist. Kurzum: Entwicklungspolitik ist Wirtschaftspolitik. Und Europas Wirtschaft ist die erste, die davon profitieren kann – wenn sie es wagt.
Was zeichnet Afrika besonders aus?
Auch hier will ich keine Stereotypen bedienen. In meinen vielen Begegnungen mit dem Kontinent und seinen Menschen hab ich aber erlebt, dass eine positive, lebensbejahende Grundstimmung vielen afrikanischen Kollegen gemein ist. In wirtschaftlicher Hinsicht heißt das für mich: Mehr Menschlichkeit im Markt – eine Renaissance dessen, was wir in Europa als „Ehrbaren Kaufmann“ kennen. Hinzu kommt die Besinnung auf Genossenschaften und den regionalen Markt – Afrikaner handeln lokal und zeigen einem damit wirtschaftliche Zusammenhänge auf, die in unserer industriellen Welt längst vergessen waren. Ein anderer Punkt: Die Flexibilität. Afrikaner finden Lösungen und Wege, wo viele Europäer vielleicht schon die Flinte ins Korn geworfen hätten. Und: Sie kennen andere Lösungswege – aus ihrer Umwelt, ihrer Tradition heraus. Davon können wir lernen – und das müssen wir respektieren, wenn unsere Entwicklungspolitik erfolgreich sein soll.
Sollte auch der deutsche Mittelstand sich in Afrika engagieren?
Dazu ein klares: Ja! Zahlreiche Studien benennen Afrika als die Chancenregion der kommenden Jahre. Und wir haben viel aufzuholen: Bislang ist der Kontinent in der deutschen Außenhandelsbilanz mit 2,3 Prozent, davon allein 40 Prozent Südafrika, stark unterrepräsentiert. Da gibt es Luft nach oben! Nehmen wir ein Beispiel: Das mobile banking-System Mpesa. Innerhalb eines Jahres hat Afrika dieses System eingeführt und damit – untersützt von europäischen Firmen und IKT-Mittelstand – ein modernes Banking-System auf die Beine gestellt, als viele europäische Länder es bis heute kennen. Dieses Phänomen des „entwicklungstechnischen Weitsprungs“ nennt man neudeutsch „Leapfrogging“ – und wir dürfen solche Meilensteine für das industriell noch lange nicht entwickelte Afrika in vielen Bereichen erwarten. Allerdings nur mit innovativem background – und den kann der deutsche, der europäische Mittelstand ganz klar bieten.
Wer unterstützt den deutschen Mittelstand in der Entwicklungszusammenarbeit?
Es gibt viele Ansprechpartner – und ich meine, die Außenwirtschaftszentren der IHKs und Handwerkskammern sind da einer der Spitzenreiter. Von der European-Afrikan Chamber of Commerce hatte ich bereits gesprochen, aufgefallen ist mir auch das Engagement des Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft – um nur zwei von vielen Initiativen zu nennen. Bei der Europäischen Kommission gibt es ein eigenes „SME Internationalisation Portal“ und wir arbeiten aktuell daran, auf weitere Angebote – etwa ein eigenes Erasmus-Programm für junge Unternehmer in Afrika oder eine Plattform zur Vermitlung globaler CSR-Projekte – zu etablieren. Persönlich habe ich zudem sehr gute Erfahrungen mit dem direkten Kontakt zu afrikanischen Botschaften in Berlin und Brüssel gemacht. Warum nicht einfach mit den Leuten aus den Ländern reden, in denen man gerne investieren möchte? Ich behaupte: Dieser persönliche Kontakt kommt der afrikanischen Mentalität entgegen.
Wo lohnt es sich, besonders zu investieren?
Grundsätzlich zählen – neben Südafrika und Botswana - die Küstenstaaten zu den Boom-Regionen Afrikas: Namibia, Marokko, Tunesien und Ägypten. Dazu noch Senegal, Gambia, Ghana, Gabun, Mauritius und Nigeria. Ölbedingt entwicklungsstark sind traditionell Angola, Gabun und Äquatorialguinea. Im Ende aber wird auch hier jeder Einzelne genau auf sein marktsegment und die länderspezifischen Entwicklungen der Märkte achten und sich bei den bereits genannten Partnern informieren müssen.
Was verstehen Sie unter „CSR aus Überzeugung“?
Das Gegenteil von „Hochglanz-CSR“. Unternehmerische Soziale Verantwortung bemisst sich nicht an der Zahl der Farbfotos und schöner Worte im jährlichen CSR-Bericht. Echte CSR braucht Verantwortungsbewusstsein und ethisches Gespür im Management. Das kann man nicht verordnen, das muss man leben. Seit meinem Einzug ins Europäische Parlament bin ich deshalb auch der erste Abgeordnete, der mit Leidenschaft dafür kämpft, dass das unter anderem von den IHKs geprägte Ideal des „Ehrbaren Kaufmanns“ eine echte europäische Dimension erhält. Für mich ist das die Grundlage echter, funktionierender CSR. Seit meiner Wahl habe ich bereits vier Mal Mehrheiten für die Erwähnung des „Ehrbaren Kaufmanns“ in offiziellen Texten des Europaparlaments erreicht – und neue Benchmarks gesetzt, die weit über den „warmen Worten“ anderer Kollegen liegen.
Die Toten von Bangladesch haben viele Deutschen aufgeschreckt und erschreckt bezüglich der Produktionsbedingungen in Entwicklungsländern. Vizekanzler Gabriel sagte, wer meine ein T-Shirt dürfe nicht mehr kosten, trägt Mitverantwortung für diese Zustände. Wie sieht die Verantwortung deutscher Unternehmen aus?
Sie sprechen mit der Textilbranche einen wichtigen Bereich an – und ja, deutsche Unternehmen mit ihrer Konzernmacht tragen eine große Verantwortung. Ich begrüße das von der deutschen Bundesregierung initiierte Bündnis für nachhaltige Textilien, dem bis heute zahlreiche der großen Textilhersteller und Händler beigetreten sind. Persönlich unterstütze ich die weit ambitionierteren Ziele der 1990 in den Niederlanden gegründten und heute in 12 EU-Staaten aktiven „Kampagne für saubere Kleidung“. Gemeinsam mit meiner europäischen, christdemokratischen Partei ECPM arbeite ich daran, dieses Thema zu einem Schwerpunkt europäischer Politik und der niederländischen Ratspräsidentschaft 2016 zu machen. Ich kann mir gut vorstellen, hier an einem europäischen fair-clothes-Siegel und verschärften Marktzugängen für menschenrechtlich „dirty clothes“ zu arbeiten. Grundsätzlich aber gilt: Der Kunde macht den Markt. Keiner von uns kann die volle Verantwortung auf Unternehmen übertragen, wenn er selbst zu den „unfairen“ Produkten greift – auch nicht Sigmar Gabriel.
An Handys klebe Blut, heißt es, aufgrund der Konfliktmineralien. Schokolade sei bitter und über die Textilbranche haben wir soeben gesprochen. Bei welchen Produkten müssen Unternehmen noch genauer auf die Lieferkette achten?
Von besonderer Bedeutung ist dieser Blick immer, wenn es um Rohstoffe, Handwerk in Schwellenländern oder grundsätzlich globale Lieferketten geht. Ich persönlich habe mir angewöhnt, immer genauer hinzusehen. Es gibt schon heute viele Möglichkeiten der Transparenz und Information. Zu Weihnachten etwa habe ich online nach einem neuen Mobiltelefon für meine Tochter gesucht. Da vergleiche ich dann aber nicht nur die Preise – sondern auch den sozialen Aspekt. Gelandet bin ich letztendlich beim „Fairphone“ – ein junges start-up, das eine komplett transparente, faire Produktion des Mobiltelefons garantiert. Mein nächstes wird auch ein FairPhone. Und ich habe dem Generalsekretär des Europaparlaments vorgeschlagen, doch die komplette Armada der Diensthandys auf dieses FairPhone umzustellen.
Sie plädieren für eine neue Form des internationalen Fair-Handelsabkommen. Was genau fordern Sie?
Die Idee entstand im Zuge der aktuellen TTIP-Debatten. Anders als viele Kollegen habe ich nicht dumpf gegen Handelsabkommen gewettert – das ist, gerade aus deutscher Sicht, Irrsinn: Wir als Exportnation brauchen einen funktionierenden Welthandel. Alles andere kostet Arbeitsplätze. Allerdings sage ich seit meinem Wahlkampf unverändert: TTIP- so nicht! Europa hat den Fehler gemacht, aus den Folgen von ATTAC nicht zu lernen. Das bestehende Procedere für Handelsabkommen passt nicht mehr in diese Welt – und ist in Dimensionen wie TTIP sogar gefährlich. Wir brauchen mehr öffentliche Beteiligung, mehr demokratische Beteiligung. Kein Mensch braucht nebulöse Schiedsgerichte jenseits jeder Gerichtsbarkeit. Was die Unternehmen brauchen, sind Möglichkeiten internationaler, außergerichtlicher Mediation. Genau dafür plädiere ich. Wir brauchen auch keine Handels-Monster, die nicht verhandelbare Bereiche betreffen: Kultur, öffentliche Daseinsvorsorge, Umweltstandards – all das darf nicht Teil solcher Abkommen sein. Schon im Herbst letzten Jahres habe ich gesagt: Lasst uns als Europäer jenseits TTIp ein Exempel fairer Handelsabkommen statuieren: Mit Australien oder Neuseeland – beide warten seit langem auf ein Angebot aus Europa. So hab ich es auch Kommissionspräsident Juncker geschrieben. Im Oktober diesen Jahres hat die EU-Kommission die Verhandlungen mit Australien aufgenommen – ausdrücklich unter dem Vorsatz, neue Maßstäbe fairer Handelsabkommen zu setzen. Ich maße mir nicht an, dass das auf meinen Brief zurückgeht – aber: Ich freue mich darüber. Auch der Verbraucher steht in der Verantwortung. Was kann er, was soll er tun? Oft ist zu hören, faire Produkte seien zu teuer. Gleichzeitig geben Deutsche Unsummen für Kaffee in Kapseln aus. Wie paßt das zusammen? Das passt gar nicht. Offen gesprochen ist das komplett widersprüchlich. Und es gilt nicht nur für Kaffee. Markenklamotten können kosten, was sie wollen – sie werden gekauft. Laptop oder Handy mit dem silbernen Apfel sind vielen Gold wert – ungeachtet der Tatsache, dass der Konzern dahinter kaum Steuern in Europa zahlt, kein soziales Engagement kennt und sicher auch keines der Bauteile auch nur irgendwie fair gehandelt wurden. Die fairen Produkte aber kann sich keiner leisten. Mir zeigt das: Fairem Handel muss man politisch auf die Sprünge helfen. Sozialstandards und Menschenrechte sind kein wirtschaftspolitisches „unter ferner liefen…“. Fair ist Pflicht. Alles andere schlägt weltpolitisch langfristig schmerzhaft zurück.
Auch der Verbraucher steht in der Verantwortung. Was kann er, was soll er tun? Faire Produkte gelten als zu teuer. Gleichzeitig geben Deutsche Unsummen für Kaffee in Kapseln aus. Wie passt das zusammen?
Das passt gar nicht. Offen gesprochen ist das komplett widersprüchlich. Und es gilt nicht nur für Kaffee. Markenklamotten können kosten, was sie wollen – sie werden gekauft. Laptop oder Handy mit dem silbernen Apfel sind vielen Gold wert – ungeachtet der Tatsache, dass der Konzern dahinter kaum Steuern in Europa zahlt, kein soziales Engagement kennt und sicher auch keines der Bauteile auch nur irgendwie fair gehandelt wurden. Die fairen Produkte aber kann sich keiner leisten. Mir zeigt das: Fairem Handel muss man politisch auf die Sprünge helfen. Sozialstandards und Menschenrechte sind kein wirtschaftspolitisches „unter ferner liefen…“. Fair ist Pflicht. Alles andere schlägt weltpolitisch langfristig schmerzhaft zurück.
Arne Gericke ist seit 2014 Europaabgeordneter und Mitglied der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Dort agiert er als Sozialpolitischer Sprecher, Mittelstandsexperte sowie Koordinator für den Dialog mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks. In diesen Rollen setzt sich Gericke für eine europäische Dimension des Ehrbaren Kaufmanns und "CSR aus Überzeugung" ein, für eine neue Form internationaler Fair-Handelsabkommen, mehr Chancen für Mittelstand und Familienunternehmen in der globalen Entwicklungszusammenarbeit sowie eine flexible, familienfreundliche Arbeitskultur im Digitalen Zeitalter.
Der zweite Teil des Interviews erscheint nach Weihnachten, darin lesen Sie über die Bedeutung von TTIP und die Herausforderungen Asiens.
cschmidmeier