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„Wir brauchen ein Gesicht für Afrika“ - Fortsetzung des Interviews mit Hiller von Gaertringen

Afrika nicht nur als Armenhaus, sondern auch als Markt und Geschäftspartner wahrzunehmen, das ist das Plädoyer des Publizisten Christian Hiller von Gaertringen. Er ist Autor des Buches "Afrika ist das neue Asien". Hier lesen Sie den zweiten Teil des Interviews, darin geht es unter anderem um die "German Angst", das "leapfrogging" und österreichische Seilbahnen als Lösung afrikanischer Verkehrsprobleme.

Herr Hiller von Gaertringen, woher kommt die Zurückhaltung der Deutschen bezüglich des afrikanischen Marktes?

Das habe ich mich auch gefragt, ich weiß es nicht so genau. Deutsche Unternehmer haben Angst vor den Märkten und Angst davor, dort nur ausgenommen und am Ende alleingelassen zu werden, Angst vor einem fremden Land, ungewohnten Klima, wo man aufpassen muss, sich nicht Malaria oder irgendwas zu holen und wo man Angst haben muss, dass die Tür aufgerissen und man ausgeraubt wird, eben diese ganzen Widrigkeiten. Man weiß nicht so richtig, wie man da rein soll.

Die bekannte German Angst? Haben das die Franzosen nicht?

Die werden viel stärker vom Staat begleitet und sie suchen sich ganz gezielt Märkte aus. Total ist zum Beispiel nach Mosambik gegangen, um dort Erdöl zu fördern und sie sagten sich, so richtig interessant wird es erst, wenn wir dort eine Expats-Community aufbauen, dann gibt es eine französische Schule und die ganzen Einrichtungen, die französische Expats haben wollen. Also haben sie anderen französischen Unternehmen ihre Hilfe angeboten, wenn sie mit nach Mosambik gehen. So gibt es jetzt eine richtige Initiative der französischen Wirtschaft, nach Mosambik zu gehen.

Gäbe es da eine Branche, für die sich der Sprung nach Afrika besonders lohnen würde?

Wir haben in den vergangenen Jahren eine sehr leistungsstarke Industrie im Bereich Erneuerbare Energien aufgebaut. Leute, die Projekte entwickeln können, die komplexe Anlagen bauen, die ständig an neuen Lösungen arbeiten und denen jetzt der Markt in Europa weggebrochen ist. Und die gehen nach Afrika, unabhängig von der Betriebsgröße. Weil sie dorthin gehen müssen, wo der Markt ist. Und das leuchtet ja jedem ein, dass Afrika ein recht guter Standort ist für Sonnenenergie und für Wind sowieso. Da tun es auch ganz kleine Ingenieursbetriebe von drei, vier Leuten.
Ich lese gerade das Buch „The world is flat“, was der Autor für Indien und China beschreibt, wird in Afrika passieren. Kigali ist dabei der Standort für App-Entwicklung zu werden, für den Kontinent, aber auch universell. Auch Marktforschung und solche Dienstleitungen, für die ich gut ausgebildete Leute brauche, die dann am Computer arbeiten, würde ich alles nach Afrika auslagern.
Wir sollten auch viel stärker die Präsenz unserer deutschen Autobauunternehmen in Südafrika nutzen. Mercedes und BMW sind ja schon da. Wieso haben wir keine Zulieferer außenherum, wieso wurde die Fertigungstiefe nicht erhöht? Da ist eine Chance, die wir vertan haben. Woher kommt die deutsche Präsenz in China? Das war Carl Hahn, als Vorstandsvorsitzender von Volkswagen. Als die Chinesen marktwirtschaftliche Strukturen eingeführt haben, so um 1980 herum, ist Hahn hingeflogen und hat ein 50-50-Joint-Venture in Shanghai auf den Weg gebracht, mit der Vereinbarung, dort die Fertigungstiefe zu erhöhen und dann mussten die ganzen deutsche Zulieferer nach China gehen, ob sie wollten oder nicht. Und wenn die deutschen Mittelständler dann eh schon mal in China sind, ein Lackiermaschinen-Hersteller etwa, dann schaut er sich das Land auch mal an und sucht nach neuen Geschäftsmöglichkeiten. Und wenn sie da Fertigung ausbauen, dann müssen sie die Arbeiter auch komplett ausbilden.

Können nicht andere Mittelständler, die erfolgreich in Afrika sind, deutsche Unternehmen zum Nachahmen anregen?

Ich fürchte, das ist so ein bisschen wie beim Klavierspielen, man hört einen, sagt sich, das würde ich auch gern können, setzt sich aber nicht ans Klavier und übt.
Ein Weg ist es, einen Praktikanten aus diesen Ländern zu sich zu holen. Sprich über den institutionellen Rahmen wie die AHKs hinauszugehen. Wie es die genannten Pharmaunternehmen machen: einfach Leute ausbilden. Das ist ein gutes Mittel, um Land und Leute kennenzulernen. Man geht auch kein Risiko ein, weil man genau weiß, wie viel Geld man ausgibt. Oder eine Konferenz oder Fachmesse besuchen und dort erste Kontakte aufbauen und sondieren.
Ein Beispiel wie das etwas verändern kann, beschreibe ich ja auch im Buch, nämlich Doppelmayr. Der bekam einen Auftrag aus Nigeria, eine Seilbahn zu bauen, auf einen Berg, der als Touristengebiet erschlossen werden soll. Das fand Doppelmayr so ungewöhnlich, dass er sich sagte: „Mensch das ist mein erster Auftrag aus Afrika, da fahr ich mal hin und schau mir das an.“ Und dann sah er, wie verstopft diese Stadt ist, die Busse kommen nicht durch, auch Straßenbahnen hätten keine Chance und er hatte dann die Idee: Wir bauen eine urbane Seilbahn. Das zeigt wie der Doppelmayr, mit seinen über 80 Jahren, einfach weil er hingefahren ist, hier ein Geschäft entwickelt hat. Darüber spricht jetzt ganz Afrika.

Wir wollen nochmal von den Franzosen lernen. Was machen die beim Thema Finanzierung besser?

Sie machen es auf eine Art besser und auf eine andere Art schlechter. Wo sie eindeutig besser sind, ist der Bereich der kommerziellen Banken. Die französischen Banken haben alle Afrikaerfahrung und sind auch in der Lage, französische Unternehmen dorthin zu begleiten. Wo wir besser sind, ist die staatliche Seite, in Form der KfW und ihrer Tochtergesellschaften, das ist schon ein sehr stimmiges Konzept. Das alles haben die Franzosen so nicht. Die DEG ist sehr frei in dem, wie sie agiert, am Ende des Jahres sollte halt nur die Bilanz stimmen. Wo sie investieren oder nicht, ist keine politische Einzelentscheidung.

In Ihrem Buch bringen Sie mehrere Beispiele dafür, wie pfiffig Afrikaner mit fehlender Infrastruktur umgehen, fehlende Banken werden durch Überweisung per SMS ersetzt oder durch private Kreditzirkel. Sie erzählen auch, wie ganze Entwicklungsstufen übersprungen werden und uns Afrika in manchen Bereichen sogar überholt, statt das Festnetz auszubauen, setzt man gleich auf LTE. Haben Sie weitere Beispiele?

Die Afrikaner werden die Atomkraft überspringen, sie werden auch weitgehend die fossile Energiegewinnung überspringen und gleich auf die erneuerbaren Energien und vielfach dezentrale Versorgung gehen.
Sie werden auch in gewisser Hinsicht das Auto überspringen. Bevor in Afrika mit der Urbanisierung riesige Autobahnnetze gebaut werden, werden die Eisenbahnnetze ausgebaut. Ich halte die Eisenbahn neben dem Flugzeug für den Verkehrsträger Nummer Eins in Afrika. Das Auto wird natürlich noch genutzt, als Statussymbol.
Ein weiterer Bereich, wo die Afrikaner eine Entwicklungsstufe überspringen werden, ist Bildung. Das wird das E-Learning sein. Man kennt aus Entwicklungsländern diese typischen Dorfschulen, die Hilfsorganisationen mit gutem Willen aufgebaut haben, meistens funktionieren die nicht mehr, sobald die Kreide ausgegangen ist. Aber in zwanzig, vielleicht schon in zehn Jahren, wird in den Dorfschulen das Smartboard hängen, solarbetrieben und die Kinder werden auf dem Laptop lernen. Anders wird es übrigens auch gar nicht zu bewältigen sein, bei einer Verdoppelung der Kinder. Das heißt, dieser Unterricht, so wie wir ihn kennen, ist in Afrika gar nicht mehr möglich.
Das nächste leapfrogging gibt es im Gesundheitswesen. Wir werden nicht in der Lage sein, diese wachsende Bevölkerung mit Ärzten und Krankenschwestern zu versorgen. Wir werden internetbasierte Diagnose und solche Dinge entwickeln. Dann hat man vor Ort zum Beispiel eine Krankenschwester, die weiß mit ihrer Erfahrung und Ausbildung, was zu tun ist. Und wenn sie nicht mehr weiterweiß, kann sie über Skype oder ähnliches einen Arzt kontaktieren, der 200 Kilometer entfernt sitzt.

Wir hatten einen Bundespräsidenten, der Afrika zu seinem Hauptthema gemacht hat. Wie sehen Sie die Rolle von Horst Köhler?

Das einzige, was ich aus afrikanischer Sicht Köhler vorwerfe: dass er zu früh zurückgetreten ist. Das war ein ziemlicher Verlust. Er hat angefangen, das Gewicht seines Amtes in die Waagschale zu werfen und das Bewusstsein der Wirtschaft, aber auch der Bevölkerung auf Afrika zu lenken.
Das ist auch das größte Handicap, das die Wirtschaft hat, es gibt kein Gesicht für Afrika. Für China hatten wir das, für Ost-Asien hatten wir das und für Afrika brauchen wir auch so ein Gesicht. Jemand aus dem Herzen der Deutschland AG. Ich glaube so ein Dax-Vorstand, gerne auch im Ruhestand, würde etwas bewegen.

Herr Hiller von Gaertringen, wir danken Ihnen für dieses interessante Gespräch.

Das Interview führten Almuth Dörre (EZ-Scout Bayern) und Christian Rechholz (Redakteur auwi-bayern.de)