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Brexit im Fokus

Seit dem Sommer wirken die Streiks und Demonstrationen in Großbritannien, wo es selten zu sozialen Unruhen kommt, wie ein Weckruf für das übrige Europa. Denn das Land hat die höchste Inflationsrate der G7-Länder mit dem höchsten Preisanstieg seit 40 Jahren und es droht eine Rezession. Dabei ist das Land seit mehreren Jahren im Krisenmodus: Corona, der Krieg in der Ukraine, Boris Johnsons Nachfolge, Liz Truss Rücktritt nach kurzer Amtszeit und natürlich der Brexit.

Das gibt uns die Gelegenheit zu untersuchen, wie es dem Vereinigten Königreich gelingt, sein Schicksal nun außerhalb der EU zu meistern.

 

Was hat sich seit dem 1.1.2021 geändert?

Seit dem Brexit gibt es keine Personen- und Warenverkehrsfreiheit mehr und für das Vereinigte Königreich gelten nun Kontrollen bei der Einreise und bei der Ausreise. Trotz der sehr konfliktgeladenen Brexit-Verhandlungen haben sich die beiden Parteien im guten Einvernehmen getrennt. Teil der neuen Partnerschaft ist das im Dezember 2020 geschlossene Abkommen über Handel und Zusammenarbeit. Dadurch wollte man möglichst viel des Handels in Höhe von jährlich 700 Mrd. Euro zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich beibehalten. Es gibt keine Einfuhrzölle oder Mengenbeschränkungen, aber wieder Kontrollverfahren und Verwaltungsformalitäten für den Warenverkehr.

Obwohl die EU nach wie vor bei weitem der größte Markt für die britische Wirtschaft ist, haben sich die bayerischen Importe aus Großbritannien im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr mit einem Handelsvolumen von 4,4 Mrd. Euro um 25,5 % stark reduziert.

Bei den Ausfuhren kann man ebenfalls bei einem Handelsvolumen von 9,4 Mrd. Euro einen Rückgang um 7,8% im Jahr 2021 beobachten. Das Vereinigte Königreich hat seine Lieferquellen diversifiziert und ist neue Partnerschaften außerhalb der EU eigegangen. So sank der Anteil der Importe aus der EU von 53% vor dem Brexit auf 45% im Jahr 2021. Die USA (12,5%) und China (10,6%) haben inzwischen Deutschland (10%) überholt und sind nun die größten Lieferländer für britische Unternehmen. 

Aber wahrscheinlich sind vor allem die Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt besonders spürbar. Dem Vereinigten Königreich mangelt es an Arbeitskräften - und zwar aufgrund der Corona Pandemie. Durch den Brexit hat sich das noch verschärft. Denn nun brauchen auch EU-Bürger eine Arbeitserlaubnis. Deshalb mangelt es den britischen Unternehmen an Bewerbern in Schlüsselbranchen wie dem Hotel- und Gaststättengewerbe und der Landwirtschaft. Vor allem fehlen etwa 100.000 LKW-Fahrer, weshalb im Sommer 2021 zu Lieferengpässen bei Tankstellen und Supermärkten kam. Sechs Monate später begann nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine die Inflationsrate zu steigen und erreichte mit 10% im Sommer einen Höchststand seit 40 Jahren.

Laut der jährlichen Umfrage „Going International 2022“ haben bayerische Unternehmen, noch vor der russischen Invasion der Ukraine, als Hauptrisikofaktoren für ihre Geschäftsbeziehungen mit Großbritannien die Zollbürokratie (69%), Logistikprobleme (55%), die Zunahme tarifärer Handelshemmnisse (46%) und rechtliche Unsicherheit (35%) beurteilt. Als weniger risikoreich werden sinkende Exporte (11%), Probleme bei der Mitarbeiterentsendung (14%) und Wechselkursrisiken (16%) angesehen.

Trotzdem planen nur 17% der befragten Unternehmen eine Verlagerung von Investitionsausgaben auf andere Märkte. Wenn doch Verlagerungen anstehen, gehen diese vor allem in die EU außerhalb der Eurozone oder die EFTA -Staaten (jew. mit 10%) sowie nach Deutschland (10%)

Wenn ich geschäftliche Beziehungen als Unternehmer habe, auf was muss ich achten?

Unternehmen, die bisher nur innerhalb der EU tätig waren, müssen sich zuerst mit den Grundlagen zum Warenverkehr mit Drittländern auseinandersetzen.

Außerdem, Unternehmen mit direktem Großbritanniengeschäft sollten

  • eine EORI-Nummer beim Zoll beantragen (wenn sie diese nicht bereits haben),
  • die Warennummern kennen,
  • sich mit Datenbanken wie der Market Access Database vertraut machen, um künftig Zollsätze und Ähnliches in Erfahrung zu bringen und
  • sich mit dem Thema Warenursprung auseinandersetzen,
  • prüfen ob Ausfuhrgenehmigungen nötig sind,
  • die Lieferbedingungen für die Einfuhr in GB anpassen (je nach Lieferbedingung ist eine umsatzsteuerliche Registrierung notwendig,
  • die Einfuhrformalitäten im UK werden je nach Warenkategorie stufenweise eingeführt,
  • für Waren, die Verboten und Beschränkungen unterliegen, werden zusätzliche Lizenzen, Nachweise oder Zertifikate erforderlich),
  • neue Rahmenbedingungen für den Versandhandel prüfen (insbesondere Unternehmen ohne britische Niederlassung sollten einen zuverlässigen Zollagenten, Spediteur oder Paketdienst engagieren).
  • sicherstellen, dass ihre Spediteure/Transporteure die Güter nach Großbritannien befördern, eine Registrierung im GVMS (Goods Vehicle Movement Service) durchführen,
  • prüfen, ob im Fall der Dienstleistungserbringung ein Visum notwendig ist. Je nach Art des geschäftlichen Aufenthalts ist evtl. ebenfalls zu prüfen, ob die Aktivität grundsätzlich erlaubt ist,
  • für kennzeichnungspflichtige Waren die neuen UKCA-Regelungen und Fristen beachten.

Allgemein sollten Unternehmen sich Unterstützung von Experten holen. Die Experten der bayerischen Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern sowie die der Auslandshandelskammer in London stehen bayerische Unternehmen gerne zur Verfügung.

Das Nordirland Protokoll

Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland ist inzwischen wieder ein Thema, denn die gehört weiterhin zur EU. Dem Nordirland-Protokoll zufolge, das im Dezember 2020 unterzeichnet wurde, gilt der freie Warenverkehr und die Mitgliedschaft in der Zollunion für Nordirland, damit es nicht zu Grenzkontrollen an der inneririschen Grenze kommt. Denn das würde das Karfreitagsabkommen gefährden, das am 10. April 1998 nach jahrzehntelanger Gewalt zwischen den protestantischen Unionisten und den für eine Wiedervereinigung Irlands eintretenden Katholiken beschlossen worden war.

Allerdings schuft das Brexit-Abkommen quasi eine Grenze durch die Irische See zwischen Nordirland und Großbritannien. Dadurch sehen die Unionisten ihre britische Identität und ihre Zugehörigkeit zum Königreich bedroht. Nordirland versankt in einer politischen Krise und die Irisch-republikanischen Sinn Fein stieg 2022 zu stärksten Partei Nordirlands auf, wodurch eine Volksabstimmung über die Wiedervereinigung der Insel näher rückt.

Sie verweigern sich seit Mai 2022 einer Regierungsbildung. Die Partei hat die Neuverhandlung des Nordirland-Protokolls zur Bedingung für die Wahl des Parlamentspräsidenten gemacht. Damit wurde am 27. Oktober die sechsmonatige Frist zur Bildung einer Regierung verpasst und es muss nun innerhalb der nächsten zwölf Wochen eine Neuwahl ausgerufen werden.

Außerdem führte der Brexit erneut zu Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland: in England hatten 53,4% für den Austritt, in Schottland 62% für den Verbleib in der EU gestimmt. Auch der Tod der britischen Königin Elisabeth II. verleiht der Unabhängigkeitsdebatte neuen Auftrieb. Deshalb tritt die schottischen Nationalpartei SNP als stärkste Partei im schottischen Parlament, für die Abhaltung eines zweiten Referendums 2023 ein. Ob das auch ohne Zustimmung der britischen Regierung rechtens wäre, soll der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs entscheiden.

Truss-Nachfolge: der jüngste Premier seit mehr als 200 Jahren 

Rekordinflation, rückgängiger Handel mit der EU, Zollprobleme. Die britische Wirtschaft beginnt die Auswirkungen des Brexits zu spüren. Aber wie steht es über die nahe Zukunft hinaus für den jüngsten Premier Rishi Sunak und Großbritannien?

Sunak selbst mag wirtschaftlich kompetent und realistisch sein, aber er wird mit einer chronisch gespaltenen Partei im Rücken regieren. Die Ideologen des Brexitismus sind immer noch stark vertreten. Im Namen der Parteieinheit wird er wahrscheinlich einige von ihnen in sein Kabinett aufnehmen müssen.

Aber als ehemaliger Finanzminister ist er sich durchaus bewusst, dass die Verwirrung über die Form des Brexits zu schädlichen wirtschaftlichen Auswirkungen führt. Und dass diese Auswirkungen die Überwindung der Krise nur erschweren werden, solange man sich nicht auf einen endgültigen Plan mit der EU geeinigt hat.