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Fokus auf… 100 Tage Brexit

Würzburg (April/Mai 2021) - Der Brexit wurde vor über 100 Tagen vollzogen. Zeit, sich die Folgen beziehungsweise die derzeitige Lage in Sachen Brexit genauer anzuschauen. Der folgende Text bezieht sich auf die Lage und die Erfahrungen von Unternehmen aus dem Raum Mainfranken und wurde vom Bereichsleiter International an der IHK Würzburg-Schweinfurt Kurt Treumann verfasst.

Kurz und knapp: Ein Überblick in Stichpunkten

  • Mit einem Brexit-Deal ist nicht alles automatisch gut im Waren- und Dienstleistungsverkehr der EU mit dem VK - mit dem Abkommen sind nicht alle Probleme gelöst
  • Unternehmen und Zollstellen könnten sich nicht über Nacht anpassen.
  • Manche mainfränkische Unternehmen werden sich sicherlich gezwungen sehen über eine Umgestaltung von Lieferketten nachzudenken
  • Grenzkontrollen wirken sich gerade bei „just-in-time“ negativ aus, was renzüberschreitende Wertschöpfungsketten behindert.
  • Das Vereinigte Königreich (VK) wird damit vermutlich weniger eng in die europäischen Lieferketten eingebunden werden, was dort Arbeitsplätze kosten dürfte.
  • Defensives Abkommen: Langfristig wird es unweigerlich zu Schwierigkeiten im Handel mit Großbritannien kommen, wenn sich Regeln in beiden Volkswirtschaften immer mehr auseinander entwickeln.
  • Kurzfristig sei das Handelsabkommen wichtig, um die Unsicherheit in den Handelsbeziehungen zu verringern

Brexit: Grenzenlose Frustration

Der IHK Würzburg-Schweinfurt sind aktuell rund 300 mainfränkische Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen bekannt, die Waren in das VK exportieren. Rund 110 Unternehmen importieren Waren aus dem VK. Rund 40 Firmen sind in dem VK mit einer Niederlassung und rund 5 Firmen mit einer Produktionsstätte vertreten.
Mit Blick auf die bayerische oder bundesdeutsche Handelsstatistik mit dem Vereinigten Königreich (VK) wird deutlich, dass ein Teil der Befürchtungen von 2016 nach dem Brexit-Referendum schon wahr geworden ist.
Seit dieser historischen Entscheidung hat Großbritannien als wichtiger Handelspartner für uns an Bedeutung eingebüßt.

Exporte gesunken

Die deutschen Exporte auf die britische Insel sind seit dem Referendum 2016 gesunken. Und zwar von 89 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf rund 67 Milliarden Euro im Jahr 2020.
Das deutsch-britische Handelsvolumen umfasst rund 102 Milliarden Euro. Aktuell ist das Vereinigte Königreich Deutschlands achtwichtigster Handelspartner.
Es verlor im dritten Jahr in Folge einen Platz in der Rangfolge. Laut einer jüngsten Sonderauswertung der deutschen IHKs -  "Going International 2021" - bewerten die deutschen Unternehmen ihre britischen Geschäftsbeziehungen so negativ wie noch nie seit Beginn der Sondererhebungen zum Brexit im Jahr 2017. Drei von fünf Unternehmen bewerten ihre Geschäfte mit dem VK als schlecht. Lediglich 10 Prozent bezeichnen ihre Lage als gut.

Besser spät als gar nicht

Besser zu spät als gar nicht: Die Europäische Union und Großbritannien konnten sich dann doch noch kurz vor Heiligabend mit einem Abkommen, das sog. EU-UK Trade and Cooperation Agreement -TCA, einigen.  Aber bis zuletzt zum Ende der Übergangsphase 2020 herrschte Unklarheit für die Wirtschaft. Immer wieder berichteten unsere Mitglieder, dass man sich aufgrund ermangelnder Informationen zu wenig auf den Brexit vorbereiten konnte.
Diese Situation war umso schlimmer, da sich der Brexit oftmals durch unterschiedliche Bereiche im Unternehmen zieht. Nicht nur der „Zöllner“ im Unternehmen ist betroffen.
Auch die Personalabteilung bei der Entsendung von Personal, der Jurist bei der Vertragsgestaltung, der IT-Mitarbeiter der die Updates zum Beispiel Daten zum Warenursprung und Präferenzen vornehmen mussten etc.

Teufel steckt im Detail

Seit Jahresanfang erreichte die IHK Würzburg-Schweinfurt eine Vielzahl unterschiedlicher Anfragen – auch von exporterfahrenen Unternehmen. Der Teufel steckt im Detail und somit bleibt den Unternehmen und der IHK bei der Beratung nichts anderes übrig, als in das über 1.200 Seiten starke TCA-Abkommen, welches zunächst nur in Englisch zur Verfügung stand, zu schauen. Insbesondere Anfang 2021 war Vorsicht beim Umgang mit Quellen aus dem Internet geboten, waren doch viele Infos aus dem Netz nicht auf dem neuesten Stand. Auch der Sonderstatus von Nordirland führte zu einigen Anfragen in der IHK. Auch jenseits des TCA gab es Friktionen in der praktischen Umsetzung des Brexits an den Grenzen.

Immer wieder hörten wir von Forderungen, dass entgegen der Praxis, Ausfuhranmeldungen auch unterhalb von EUR 1.000 als Warensendungswert gefordert wurden. Wichtig ist auch, dass das TCA als rein bilaterales Abkommen der EU mit dem VK begriffen werden muss. In der Konsequenz wirkt sich der Brexit aber mittelbar auch im Handel mit Märkten wie der Schweiz oder Mexiko aus, mit denen die EU Freihandelsabkommen betreibt, was in vielen Fällen unsere Wettbewerbssituation durch eine „Gefährdung des präferenziellen EU-Ursprungs“ mit solchen Märkten verschlechtern kann.

In Anbetracht des Brexits ist grundsätzlich der zusätzliche bürokratische Aufwand beim Handel mit dem VK hervorzuheben. Der DIHK hat bspw. ausgerechnet, dass deutsche Unternehmen mit dem Brexit rund zehn Millionen Zollerklärungen im Jahr erbringen müssen, was Kosten von 400 Millionen Euro im Jahr bedeutet. Der Brexit bringt aber auch viel weiteren Papierkrieg mit sich bspw. in Bezug auf REACH-Vorschriften oder speziellen Regelungen bei Lebensmitteln.

Bye bye

Und Bye-Bye Personenfreizügigkeit: Eine der Stärken der deutschen Exportwirtschaft ist die Verlässlichkeit eines guten After Sales. In vielen Fällen werden Dienstreisen nicht mehr so ohne weiteres möglich sein. Beispielsweise gewinnen „Sponsoring Bescheinigungen“ vom britischen Geschäftspartner an Bedeutung. Manche Dienstreisen werden durch den Brexit damit sogar nicht mehr funktionieren. Die negative Dynamik der Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem VK nimmt es im Prinzip vorweg. Es ist davon auszugehen, dass Handelspartner im VK immer mehr gestrichen werden, da einfach gerade kleinere Unternehmen im Rahmen der Konsequenzen rund um den Brexit überfordert sind.

Trotzdem: Großbritannien bleibt interessanter und wichtiger Handeslpartner

Das VK  ist und bleibt ein wichtiger und interessanter Markt mit seinen 66,8 Mio. potenziellen Konsumenten und geringen Sprachbarrieren. Der Markt zeichnet sich durch seine große Offenheit für neue Produkte, als „Testmarkt“, aus und gilt weltweit als bedeutender Standort für Start-ups. Der Staat investiert kräftig bspw. in Infrastrukturprojekte und Regionalförderung. Zudem hat das VK bereits unter Premierminister Boris Johnson eine Reihe neuer Freihandelsabkommen abgeschlossen.

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