Es ist paradox: Die Hürden werden nicht weniger, sondern mehr. Kleine und mittlere Unternehmen, die ihre Dienstleistungen grenzüberschreitend im europäischen Binnenmarkt anbieten wollen, stehen noch immer vor einer Vielzahl von Handelshemmnissen und bürokratischen Barrieren. Der Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt ist deutlich weniger integriert als der Warenverkehr. Das ist das Ergebnis einer Studie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München, die von der IHK für München und Oberbayern in Auftrag gegeben wurde. Regionale Lösungen könnten den Unternehmen bei der Entsendung von Mitarbeitern schneller Erleichterungen bringen.
Die Studie zeigt, dass es seit 2009 bei den EU-Mitgliedsländern eine deutliche Tendenz gibt, restriktive Maßnahmen zu verschärfen. Hintergrund ist unter anderem die Reform der EU-Entsenderichtlinie, die jedem Land eigene Regelungen erlaubt. Mit ihren individuellen Auflagen für vorübergehend entsandte Arbeitskräfte haben die Länder seither besonders im Arbeits- und Sozialrecht Barrieren hochgezogen, um – durchaus legitim – Lohndumping oder den Abbau sozialer Standards zu verhindern. So müssen selbst bei Dienstleistungen, die nur wenige Tage dauern, Meldepflichten beachtet, Bescheinigungen vorgelegt und Fristen eingehalten werden.
„Vor allem kleinere mittelständische Unternehmen haben damit in der Praxis große Probleme“, sagt Alexander Lau, stellvertretender Bereichsleiter Außenwirtschaft der IHK für München und Oberbayern. Dienstleister sind zudem häufig in mehreren Ländern tätig. Für sie bedeutet das verschiedene Anlaufstellen und Länderportale - und mehrfacher bürokratischer Aufwand. Die Anforderungen können sehr unterschiedlich sein. So verlangt zum Beispiel Tschechien von den Unternehmen, einen Arbeitsvertrag in der Landessprache bereitzuhalten. In Frankreich müssen Firmen einen Ansprechpartner für die Behörden benennen.
Bußgelder drohen
„Wer sich nicht genau an die jeweiligen Regeln hält, dem drohen empfindliche Strafen von mehreren tausend Euro“, sagt Thando Sililo, IHK-Europaexperte. So musste kürzlich ein bayerisches Unternehmen, das für Servicearbeiten kurzfristig einen Mitarbeiter nach Österreich schickte, 4.400 Euro Strafe zahlen. Bei einer Kontrolle auf der Autobahn konnte der Mitarbeiter zwar die notwendige A1-Bescheinigung über seine Sozialversicherung vorweisen, sie war aber zwei Tage zu spät ausgestellt worden. Das hohe Bußgeld dafür ist ein Grund, warum die Firma ihr Engagement in Österreich künftig zurückfahren wird.
Auch die EU-Kommission registriert solche Probleme und will die Abläufe vereinfachen. Zu den Ideen gehört beispielsweise eine elektronische europäische Dienstleistungskarte, die den administrativen Aufwand und die rechtlichen Unsicherheiten abbauen soll. „Die Vorschläge dafür sind aber noch viel zu bürokratisch und nicht an den wirtschaftlichen Notwendigkeiten orientiert“, kritisiert IHK-Experte Lau. Beim Abbau administrativer Hürden wäre man auch schon über kleine Schritte froh. Ein gemeinsames und mehrsprachiges digitales Meldeformular, das in allen 27 Ländern verwendet werden kann, würde den Aufwand bereits spürbar reduzieren.
Tolles Tool: Dienstleistungskompass
Die ifo-Studie gibt eine Reihe von wirtschaftspolitischen Empfehlungen. Ein wichtiger Punkt ist die leichte Verfügbarkeit von Informationen. Die IHK unterstützt hier Firmen nicht nur durch persönliche Beratung – ein Viertel der Unternehmensanfragen im Bereich Außenwirtschaft betreffen die Entsendung von Mitarbeitern. Auch das Onlineportal Dienstleistungskompass.eu hat sich als zuverlässige Informationsquelle für die Mitarbeiterentsendung etabliert. Es listet alle Regelungen und Besonderheiten der zwölf wichtigsten Handelspartner Bayerns in der EU sowie der Schweiz und Norwegens auf und wird ständig aktualisiert. Das Portal erleichtert Unternehmen das Auslandsgeschäft. „Es ist ein enorm aufwendiger Rechercheprozess, die vielen kleinen Feinheiten herauszubekommen, die bei der oft kurzfristigen Entsendung unserer Außendienstler in die europäischen Nachbarländer verlangt werden“, sagt Florian Völler, Personalreferent bei der Rudolf GmbH in Geretsried, einem globalen Dienstleister für die Textilindustrie. Der Dienstleistungskompass sei da sehr hilfreich, findet der 33-Jährige: „Alle wichtigen Informationen habe ich hier sofort zur Hand.“
Die bayerischen IHKs bereiten außerdem zusammen mit österreichischen und tschechischen Kollegen in grenznahen Regionen ein Pilotprojekt vor. Sie wollen bestehende Barrieren erfassen (auch Deutschland hat nicht die einfachsten Verfahren) und Erfahrungen austauschen, welche Maßnahmen zu einer Erleichterung des kleinen Grenzverkehrs von Dienstleistern führen könnten. Das Ziel: Unternehmen brauchen in Bagatellfällen nicht den kompletten bürokratischen Aufwand zu leisten.
Haben Sie konkrete Erfahrungen mit Hürden im Binnenmarkt gemacht?
Der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) setzt sich in Brüssel dafür ein, solche Barrieren zu reduzieren. Doch um in Brüssel konkrete Verbesserungen zu erreichen, braucht es greifbare Praxisfälle aus Ihrem Geschäftsalltag. Diese sammeln wir jetzt in unserem Projekt "Dienstleistungen grenzenlos".
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Quelle: IHK München/Mechthild Gruber