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BIHK-Diskussion in Brüssel: Woran die Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt scheitert

Im Brennpunkt stand ein „neues Bürokratiemonster für die Unternehmen“, wie es in Online-Foren heißt: Die Diskussion über A1-Bescheinigung und EU-Entsenderecht stand auf der Agenda der „Expertenrunde:

Dienstleistungsbinnenmarkt – Kann Europa mehr?“ am 9. Juli in der Brüsseler Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union. Veranstalter waren die bayerischen IHKs (BIHK), die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und das Enterprise Europe Network (EEN) in Kooperation mit der IHK Südlicher Oberrhein. Rund 100 Experten aus Wirtschaft, EU-Institutionen und Mitgliedstaaten kamen, um sich über die Ursachen einer Schwäche des EU-Binnenmarkts zu informieren: Seit rund 26 Jahren ist es nicht gelungen, die Dienstleistungsfreiheit zu realisieren. Während der grenzüberschreitende Warenaustausch seit Langem weitgehend reibungslos funktioniert, tun sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten bei der Marktöffnung für Dienstleister unendlich schwer. Gleich ob Fliesenleger, Elektroinstallateur oder IT-Consultant – deutsche Dienstleister können nicht einfach rüberfahren und anpacken, wenn sie in den EU-Nachbarländern, aber auch in der Schweiz und den anderen EWR-Staaten Aufträge ausführen wollen. Aus Sicht betroffener Unternehmer ist es eine Zumutung, welche Nachweise und Informationspflichten es für das grenzüberschreitende Geschäft braucht.  


Nicht nur Frankreich hat die Entsendung deutlich verschärft


Alle bisherigen Lösungsversuche sind gescheitert. Für die geplante elektronische Dienstleistungskarte gab es im Binnenmarktausschuss keine Mehrheit, weil die Parlamentarier die Förderung der Scheinselbständigkeit, „Sozialdumping“ und zu hohen Kontrollaufwand befürchteten. Dabei hatte EU-Vizepräsident Jyrki Tapani Katainen im Jahr 2017 dem Mittelstand viel versprochen („Hürden haben im Binnenmarkt keinen Platz mehr“), aber kaum etwas umgesetzt. In der IHK Südlicher Oberrhein mit Sitz in Freiburg erlebt man quasi hautnah, wie Frankreich erst jüngst die Regeln für die Mitarbeiterentsendung verschärft hat. So mancher kleinere deutsche Dienstleister sieht ganz davon ab, in Frankreich Aufträge anzunehmen. 

Gute Ziele, schlechte Umsetzung

Mit der BIHK-Veranstaltung in Brüssel hat Bayerns Wirtschaft einen neuen Anlauf genommen, um nun in der neuen Legislaturperiode 2019 bis 2024 zur „Vollendung des Binnenmarkts“ zu kommen. Die Diskussion bot Thomas Laxhuber, einem Unternehmer aus dem niederbayerischen Massing, die Gelegenheit, auf großer Bühne ein Problem zu schildern, das in diesen Tagen auch die IHK für München und Oberbayern beschäftigt. Wegen der sogenannten A1-Bescheinigung steht bei Petra Henke, Europa-Spezialistin der IHK, derzeit das Telefon nicht still. Diese Bescheinigung soll grundsätzlich Positives bewirken: Sie soll verhindern, dass Unternehmen für entsendete Mitarbeiter doppelt Sozialabgaben zahlen – im Heimatland und im Land, in das die Mitarbeiter entsendet werden. Und schließlich soll die Bescheinigung dem entsandten Mitarbeiter nachweisen, dass überhaupt Sozialabgaben bezahlt werden.
 
Was die Unternehmen derzeit in Sachen A1-Bescheinigung quält, ist das Warten auf die Bestätigung der Krankenkasse (bzw. des Rentenversicherungsträgers bei Privat-Versicherten) und verschärfte Kontrollen deutscher Nachbarstaaten. Bis Ende 2018 genügte ein Antrag in Papierform. Seit dem 1. Juli 2019 ist der A1-Antrag nur noch elektronisch möglich – eine Papier-Kopie gibt es nicht, die Sozialversicherungen kommen mit der Genehmigung nicht nach. Laut einem Beitrag von Impulse hat sich die Zahl der Anträge seit Jahresbeginn verzehnfacht. „Bei großen Krankenkassen gehen mitunter über 1.000 elektronische Anträge pro Tag ein“, schreibt Impulse. Bei kurzfristigen Anträgen muss die Bestätigung aber binnen weniger Stunden erteilt sein. Das ist derzeit kaum zu machen. 

Bußgelder und Entsendepolizei

In der Praxis verzichteten viele Unternehmen deshalb bei Kurzzeit-Einsätzen auf diese Bescheinigung. Laut Gesetz ist aber diese Bescheinigung schon für den Besuch eines Meetings oder einer Messe im europäischen Ausland nötig. Und erstmals langen die Behörden bei Verstößen richtig zu. Die Beratungsfirma KPMG bescheinigt Österreich, Frankreich, Rumänien und der Schweiz, A1-Verstöße besonders hart zu bestrafen. Österreich verhängt demnach Bußgelder zwischen 1.000 und 10.000 Euro, Unternehmen berichten, ihre Mitarbeiter würden von einer „Entsendepolizei“ selbst bei Messen oder im Hotel gefilzt.
 
Ein Ergebnis der Expertenrunde in Brüssel: Das Thema zerrt aber nicht nur an den Nerven der Unternehmen. Dank der vermeintlich kleinen Hürden des EU-Binnenmarkts verspielt die EU Jahr für Jahr Potenzial. Alexander Lau, bei der IHK Referatsleiter Europa, stellte auf der Veranstaltung die Ergebnisse eine ifo-Studie über die Misere des EU-Binnenmarkts vor. Tenor: Es ist absurd – die bürokratischen Hürden stehen genau dort, wo die größten Wachstumschancen liegen. Dienstleistungen machen zwei Drittel der Wirtschaftsleistung der EU und 70 Prozent der Gesamtbeschäftigung aus. 

Die Meldepflichten vereinheitlichen und vereinfachen

 
Konsens bestand in der Einsicht, dass das so nicht bleiben kann. Pascale Mollet-Piffert, Abteilungsleiterin der IHK Südlicher Oberrhein, schlug vor, man müsse sich an der Schweiz orientieren, wo es acht meldefreie Tage gebe. Robert Strauss von der DG Grow der EU-Kommission stellte fest, wie weitgehend die Wünsche der Unternehmen mit der EU-Position übereinstimmten. Alle Melde- und Nachweispflichten müssten vereinfacht und vereinheitlicht werden. Nur da spielen bislang die Nationalstaaten nicht mit. Gabriel Felbermayr, Autor der ifo-Studie und heutiger Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, schlägt vor, die Sozialsysteme in der EU besser aufeinander abzustimmen, um Kontrollbürokratie abzubauen. Die osteuropäischen Staaten zeigen dazu wenig Bereitschaft. Sie sehen in niedrigen Löhnen und Sozialstandards einen Wettbewerbsvorteil, auf den die westeuropäischen Mitgliedsstaaten ihrerseits mit einer Abschottung der Arbeitsmärkte reagieren.


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